Laut statt „Silentium“?
Geplanter Steinbruch erhitzt die Gemüter
Nach einer zweijährigen Corona-Zwangspause konnte in Schnals wieder eine Bürgerversammlung stattfinden.
Der Gemeindeausschuss und der Landeshauptmann bekamen in Sachen Steinbruch „Sellwand“ so einiges zu hören (v.l.): Peter Grüner, Sonja Santer, Arno Kompatscher, Karl Josef Rainer, Oswald Weithaler und Josef Götsch.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Ausserbrugg-Hofs soll der Steinbruch eröffnet werden (siehe Kreis); links oben im Bild ist Karthaus zu erkennen.
Eine Visitenkarte ist das Areal am Eingang des Schnalstals nicht, und zwar weder für die Gemeinde Naturns, noch für Schnals, wo 1991 am Hauslabjoch der Mann aus dem Eis gefunden wurde. Wie es bei der Bürgerversammlung hieß, sollte am Taleingang auf gebührende Art und Weise auf den Fund von Ötzi im Schnalstal hingewiesen werden.
Georg Kaser

Keine Freude mit Steinbruch

Heftige Kritik bei Bürgerversammlung in Unser Frau. „Von Transparenz keine Spur“

Publiziert in 11 / 2022 - Erschienen am 14. Juni 2022

Unser Frau - Am 23. Mai hatte sich Landeshauptmann Arno Kompatscher noch im heißen Palermo aufgehalten, um an den Gedenkfeierlichkeiten für die Mafia-Richter Paolo Borsellino und Giovanni Falcone teilzunehmen, und am Abend darauf stellte er sich im Haus der Gemeinschaft in Unser Frau in Schnals den Fragen der Bevölkerung. „Hier ist es feiner als in Palermo“, schickte er im Scherz voraus, konnte aber noch nicht absehen, dass es auch bei der Versammlung in Schnals ziemlich „heiß“ werden würde. „Heiß“ deshalb, weil nicht unweit von Karthaus, genauer gesagt im Talgrund vor der Einfahrt ins Pfossental, ein großer Steinbruch eröffnet werden soll. Viele Bürgerinnen und Bürger hörten zum ersten Mal von diesem Vorhaben und zeigten sich enttäuscht und verärgert darüber, dass es im Vorfeld so gut wie keine Information gegeben hatte. Vor allem die Bevölkerung des Dorfes Karthaus, das als Ort der Ruhe und Stille geschätzt und propagiert wird, befürchtet nun Lärm- und Staubbelästigungen sowie weitere Beeinträchtigungen.

165.000 Kubikmeter

Die Ausmaße des Steinbruchs „Sellwand“, den das Unternehmen Mair Josef & Co. KG eröffnen will, sind gewaltig. Auf einer Fläche von rund einem Hektar sollen in einem Zeitraum von 10 Jahren in 4 Phasen geschätzte 165.000 Kubikmeter Gesteinsmaterial (ca. 120.000 Kubikmeter Fels und ca. 45.000 Kubikmeter Lockergestein) abgebaut werden. Die maximale Aushubtiefe wird mit 37 Metern angegeben. Es sind Rodungen naturnaher Waldflächen im Ausmaß von fast 6.000 Quadratmeter notwendig. Während der Bauphasen ist laut der Umweltstudie zum Steinbruch mit einer „temporären Mehrbelastung durch Lärm- und Schadstoffemission zu rechnen“. Außerdem wirke sich die Grube negativ auf das örtliche Landschaftsbild und die Qualität des Bereichs sowohl für die Erholungsnutzung als auch für die Tierwelt aus. Umweltverschmutzungen seien keine zu erwarten. Das Wohnhaus des Grundeigentümers des Grubenareals (Ausserbrugg-Hof) liegt in jedem Fall im Immissionsbereich. Der Grundeigentümer hat sich aber bereit erklärt, „die zu erwartende Grenzüberschreitung in Kauf zu nehmen.“ In den Schlossfolgerungen der Studie heißt es, „dass das abgebaute Material weder vor Ort gebrochen noch gesiebt oder auf sonstige Art und Weise für die Verwendung aufbereitet wird.“ Zumal es sich um einen temporären Eingriff handle, „der erst mit der vollständigen Wiederherstellung/Renaturierung der Abbaufläche abgeschlossen ist“ und aus weiteren Gründen könne das Projekt „aus ökologischer und landschaftlicher Perspektive, vorbehaltlich der konsequenten Umsetzung der angeführten Milderungs- und Ausgleichsmaßnahmen, gutgeheißen werden.“

„Wir wussten nichts“

Von diesen und weiteren Details zum Steinbruch-Projekt wusste der Großteil des Publikums im Vorfeld der Bürgerversammlung nichts. Erst im Anschluss an einen allgemeinen „Lagebericht“ des Bürgermeisters Karl Josef Rainer und an ein Einführungsreferat des Landeshauptmannes wurde das Thema aus Tapet gebracht. Es war der neue SVP-Ortsobmann von Karthaus, Paul Schwienbacher, der um sachliche Informationen bat und zu bedenken gab, dass sich die Arbeiten im Steinbruch störend auf Karthaus auswirken könnten. Das Dorf zeichne sich ausgerechnet durch seine Stille aus, was auch mit dem Projekt „Silentium“ unterstrichen wurde und wird. Im Laufe der Diskussion wurden viele Stimmen gegen die Eröffnung des Steinbruchs laut. Befürchtet werden Lärm- und Staubelästigungen sowie Verkehrsbehinderungen und Einschränkungen, die nicht nur Karthaus betreffen, sondern das ganze Tal. In besonderem Maß wäre auch der Tourismus betroffen, und das für einen Zeitraum von 10 Jahren. Ein Diskussionsteilnehmer, der sich in Sachen Steinbrüche gut auskennt, rechnete vor, dass mit insgesamt rund 15.000 Lkw-Fahrten zu rechnen sein dürfte, um die ins Auge gefasste Abbaumenge talauswärts zu karren. Die Grube werde auch nachher für sehr lange Zeit sichtbar bleiben.

„Legt bitte den Rückgang ein“

Der Klimaforscher und Glaziologe Georg Kaser, mehrere Tourismus-Vertreter und viele Bürgerinnen und Bürger sprachen sich zum Teil vehement gegen das Steinbruch-Projekt aus und beanstandeten zugleich mangelnde Transparenz. Laut dem Bürgermeister, der offensichtlich nicht mit einem derartigen Widerstand gerechnet hatte, obliege es nicht der Gemeinde, die Eröffnung des Steinbruchs zu ermächtigen, sondern dem Land. Das entsprechende Gutachten sei positiv ausgefallen, „und für uns als Gemeinde war diese Sache somit in Ordnung.“ Natürlich sei es im Interesse der Gemeinde, „dass die Umgebung nicht unter Lärm und anderen Belastungen leidet.“ Die relativ geringen Einnahmen, die der Steinbruch für die Gemeinde bringt, sollen für Instandhaltungsarbeiten an den Holzbauten im „archeoParc“ in Unser Frau sowie für die Erneuerung typischer Holzzäune bei Gassen und von schadhaften Trockenmauern eingesetzt werden. Die Abbaugebühr, die der Betreiber für nutzbares Material an die Gemeinde zahlen muss, beträgt 50 Cent pro Kubikmeter. Beim Steinbruch „Sellwand“ würde eine Summe in Höhe von ca. 70.000 Euro zusammenkommen. Zur mehrfach geäußerten Forderung, das Projekt zu stoppen und den „Rückgang einzulegen“ meinte der Bürgermeister: „Sollte der Steinbruch bei Karthaus gestrichen werden, besteht die Gefahr, dass auch der kleine Steinbruch in Kurzras, den es dort für die Errichtung des Lawinenschutzdammes braucht, nicht genehmigt wird.“ Und in einem solchen Fall könnte es soweit kommen, „dass die dafür nötigen Steine durch das ganze Tal bis Kurzras transportiert werden müssen, und das wären zwischen 1.500 und 2.000 Lkw-Fahrten.“ 

45-Tage-Frist für Beschwerden

Dass es im Zusammenhang mit dem Steinbruch-Projekt bei Karthaus offensichtlich ein Transparenzproblem gibt, lag auch für den Landeshauptmann auf der Hand. Das Projekt sei am 11. Mai 2022 von der Dienststellenkonferenz genehmigt worden. Zumal es sich nicht ein „umstrittenes Vorhaben“ handelte, habe er sich auch nicht vertiefend damit befasst. Angesichts des Widerstandes, der bei der Versammlung laut wurde, erinnerte Arno Kompatscher daran, „dass innerhalb von 45 Tagen ab dem Zeitpunkt der Genehmigung (11. Mai, Anmerkung der Redaktion) Beschwerden aus Rechts- und Sachgründen bei der Landesregierung vorgebracht werden können.“ Dann werde es der Landesregierung obliegen, eine begründete Entscheidung zu fällen. Sollte die Landesregierung das Projekt genehmigen, bestünde nachher die Möglichkeit, gegen diesen Beschluss Rekurs beim Verwaltungsgericht einzulegen. Die Dienststellenkonferenz hatte am 11. Mai entschieden, dass das Projekt nicht dem UVP-Verfahren zu unterziehen ist, weil die Umweltauswirkungen nicht so erheblich sind, um die Durchführung des Verfahrens zu rechtfertigen. Bei der Diskussion wurde mehrfach dazu aufgerufen, Beschwerden einzulegen. Auch die Gemeinde und die SVP-Ortsausschüsse sollten negative Stellungnahmen verfassen. Grundsätzlich hielt Kompatscher fest, dass man sich um ein kapillares Netz von Steinbrüchen und Schottergruben bemühe, um lange Fahrtwege zu vermeiden und Dörfer nicht mit Schwerverkehr zu belasten.

Unterschriftenaktion läuft

Wie Paul Schwienbacher in der vergangenen Woche dem der Vinschger bestätigte, läuft derzeit eine Unterschriftenaktion gegen die Eröffnung des Steinbruchs. Die von der SVP-Ortsgruppe Karthaus gestartete Aktion werde auch von den Ortsgruppen Katharinaberg und Unser Frau mitgetragen. Es werde auch daran gearbeitet, alle sachlichen Argumente, die gegen das Vorhaben sprechen, zu sammeln und termingerecht den zuständigen Stellen zukommen zu lassen. Auch Stellungnahmen von Verbänden, Vereinen und Interessensgruppen werden eingeholt. 

Schandfleck am Taleingang

Ein weiteres Thema bei der Versammlung war die immer noch fehlende Neugestaltung des Areals am Eingang zum Schnalstal. Ein Projekt für eine einladende Gestaltung mit Parkplatz, Info-Point und Hinweis auf den Ötzi-Fundort in Schnals war zwar in Zusammenarbeit mit dem Grundbesitzer und in Absprache mit der Gemeinde Naturns vorbereitet und beim Land vorgelegt worden, doch genehmigt wurde das Vorhaben nicht, weil offenbar auch eine Handelstätigkeit vorgesehen war. Man schoss sozusagen über das Ziel hinaus. Die Folge ist, dass der Schandfleck noch immer da ist. 

Wo ist Schnals nachhaltig?

Als große Herausforderungen für das Land, die Gemeinden und die gesamte Gesellschaft nannte Kompatscher die Erderwärmung, die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele und den demografischen Wandel. Der Landesregierung bestätigte Georg Kaser, „auf einer sehr guten Spur zu sein.“ Wesentlich sei aber das Handeln auf der Ebene der Gemeinden. „Wo ist Schnals nachhaltig? Null ist hier nachhaltig“, so Kaser. Er machte dem Bürgermeister den Vorschlag, ihn als Referenten zu einer Bürgerversammlung einzuladen, „damit ich den Leuten sagen kann, wie ernst die Lage ist.“ Es bestehe die Gefahr, „dass wir den Karren an die Wand fahren und dass uns bald alles um die Ohren fliegt.“ Unter Verkehrsplanung verstehe er etwas anderes als den Bau von Parkplätzen. Den Vorwurf, nichts im Sinne der Nachhaltigkeit getan zu haben bzw. zu tun, wiesen der Bürgermeister und weitere Mitglieder des Gemeindeausschusses zurück. So sei z.B. geplant, bei der anstehenden energetischen Sanierung des Vereinshaus-Nordtraktes in Unser Frau eine Photovoltaikanlage auf dem Dach anzubringen.

Triebfeder Tourismus

Aus vielen Wortmeldungen war herauszuhören, dass der Tourismus die wirtschaftliche Triebfeder im Tal sei, wobei dem Skigebiet in Kurzras eine besondere Bedeutung zukomme. Michl Ebner, der Präsident Schnalstaler Gletscherbahnen AG, sagte, dass jede Maßnahme im Skigebiet auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft werde. Dass nicht allen alles zusage, sei verständlich, aber eine Weiterentwicklung sei notwendig, um eine wirtschaftliche Rentabilität zu garantieren. „Es geht darum, mit der Natur bewusst umzugehen, was aber nicht Stillstand heißt“, so Ebner. Auch das Landestourismusentwicklungskonzept war Diskussionsthema. Von einem Overtourismus könne man in Schnals und im Vinschgau insgesamt nicht sprechen. Vor allem für Kleinbetriebe werde es angesichts der Konzept-Vorgaben schwierig werden, weiterhin bestehen zu können. Angesprochen wurden auch etliche weitere Anliegen. Eine Frau z.B., die auswärts arbeitet, sagte, dass sie gerne bereit wäre, das Auto stehen zu lassen, „aber wie soll das gehen, wenn der erste Bus erst um 8.30 Uhr kommt?“

Konzession Vernagt-Stausee

Mitgeteilt hat der Bürgermeister u.a., dass die Neuvergabe der Konzession für den Vernagt-Stausee, die 2023 verfällt, „bis 2024 oder noch später verlängert wird.“ Die Gemeinde bleibe jedenfalls am Ball. Auch mit den politischen Vertretern in Rom sei man im Kontakt. Das Potential einer Wasserkraftnutzung im Pfossental sei zwar gegeben, doch ein Kraftwerksbau dürfte sich schwierig gestalten, zumal das Pfossental im Naturpark Texelgruppe liegt. Die Fertigstellung des Gefahrenzonenplans stellte Karl Josef Rainer für den Herbst 2022 in Aussicht. Als weiteres wichtiges Projekt der Gemeinde nannte er die Beteiligung an der Struktur für begleitetes und betreutes Wohnen in Naturns. Zur Bürgerversammlung eingeladen hatten die Gemeindeverwaltung und die SVP-Ortsgruppen. Neu ist neben dem Karthauser Ortsobmann Paul Schwienbacher auch die Ortsobfrau von Katharinaberg (Karin Pföstl). In Unser Frau ist weiterhin Peter Grüner Ortsobmann.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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