Vinschger Vorstoß
Initiativgruppe arbeitet an Energie-Positionspapier
Bei einer der jüngsten Sitzungen der „Initiativgruppe ENERGIE Vinschgau“ (v.l.): Georg Altstätter, Albrecht Plangger, Andreas Tappeiner, Josef Thurner, Walter Gostner, Martin Platzer (technischer Leiter E-Werk Prad), Mauro Dalla Barba, Dieter Pinggera und Michael Wunderer.

Klimaneutralität im Visier

Noch viel Potential für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen.

Publiziert in 7 / 2023 - Erschienen am 12. April 2023

Prad/Vinschgau - Bis spätestens 2040 soll Südtirol klimaneutral sein. Das ist ein hehres Ziel. Um es zu erreichen, sind gewaltige Anstrengungen notwendig, nicht zuletzt auch seitens der Landespolitik. Im Vinschgau hat sich im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen die „Initiative ENERGIE Vinschgau“ gebildet.  Entstanden ist die Idee dazu im September 2022 bei einer Aussprache zwischen dem früheren Kammerabgeordneten Albrecht Plangger und dem geschäftsführenden Verwaltungsrat der Energie-Werk-Prad Genossenschaft, Michael Wunderer, am Sitz des E-Werks in Prad. „Wir haben vereinbart, eine Initiativgruppe mit Vertretern von E-Werken und Energiegenossenschaften sowie mit Fachleuten und Gemeindepolitikern zu gründen“, blickt Michael Wunderer, seines Zeichens auch Leiter der Abteilung Energiehandel im Südtiroler Energieverband (SEV), zurück.

Fossile Energieträger eindämmen

Bezogen auf den gesamten Stromverbrauch in Südtirol in Höhe von rund 3.188 Gigawattsunden (Stand 2019) wird in Südtirol mit den Wasserkraftwerken zwar nahezu doppelt so viel Strom erzeugt (ca. 5.784 GWh, Stand 2019), allerdings wird dieser Strom derzeit noch nicht in den anderen Sektoren eingesetzt, wie zum Beispiel in den Bereichen Verkehr und Wärme. Im Klartext heißt das, dass das Land den gesamten Energieverbrauch von ca. 14.108 GWh (Stand 2019) „nur“ zu rund 40 Prozent mit Wasserkraftwerken decken könnte. Der Rest des Energiebedarfs wird in Südtirol nach wie vor zum Großteil mittels fossiler Energieträger hergestellt. Mit diesen und weiteren Daten wartete Thomas Egger, der Präsident des Klimaclubs Südtirol, auf, den die Initiativgruppe Ende März zu einem Treffen in das E-Werk Prad eingeladen hatte. Um das große Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, sind laut Egger noch etliche Hausaufgaben zu machen, wobei speziell der Ausbau bzw. der Bau von Anlagen zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen voranzutreiben seien. Auch die maximale Ausnutzung von Energieeffizienzmaßnahmen und Energieeinsparungen müssen im privaten wie im öffentlichen Bereich auf die Tagesordnung. Mit dabei war bei der Aussprache auch der Wasserbauingenieur Walter Gostner. Er soll nun erheben, wo und welche Wasserkraftpotentiale im Vinschgau derzeit noch brachliegen. „Zusätzliche Wasserkraftnutzungen kommen natürlich nur in Frage, wenn diese ökologisch verträglich sind“, unterstreicht Michael Wunderer.

Ausbau der mittleren Wasserkraftwerke?

Diskutiert wurde in der Gruppe auch darüber, mit welcher Grundlage man den weiteren Ausbau der mittleren Wasserkraftwerke im Vinschgau vorantreiben will bzw. könnte. Die Gruppe kam zum Schluss, dass einerseits die Klimaziele eine wichtige Rolle spielen - jeder muss einen Beitrag leisten und zwar dort, wo es möglich und ökologisch vertretbar ist -, und anderseits die Energieautarkie im Vinschgau erreicht werden soll. Hierbei müssten allerdings alle Sektoren des Energieverbrauchs, sprich Verkehr, Strom und Wärme, berücksichtigt werden. Der Energiebedarf des Vinschgaus, der sich auf ca. 2.000 GWh belaufen dürfte, sollte durch „Erneuerbare Energien Anlagen“ gedeckt werden können. Ein weiteres Ziel sollte es sein, im Vinschgau  langfristig stabile Strompreise, basierend auf Ressourcen, die vor Ort zur Verfügung stehen, zu gewährleisten. „Mittlerweile zählen die Erneuerbaren Energien ohnehin zu den günstigsten Kraftwerken. Solche Anlagen können vielfach günstiger Energie erzeugen als fossile Kraftwerke“, so die Initiativgruppe. Grundsätzlich sollten die Potenziale aber auch darüber hinaus nach Möglichkeit ausgeschöpft werden, „weil man auch im Sinne einer solidarischen Gemeinschaft handeln will.“ Konkret heißt das: Auch Nachbarn, die über keine günstigen Voraussetzungen für den Ausbau von Erneuerbaren Energien besitzen, sollten einen Nutzen haben, „denn der Klimawandel kennt keine Grenzen.“ 

Windkraft soll nutzbar werden

Eine zusätzliche Nutzung der Wasserkraft ist aber nur einer von vielen Bausteinen, die von der „Initiative ENERGIE Vinschgau“ ins Auge gefasst werden, um das Tal im Hinblick auf die Klimaneutralität fit zu machen. Zu den weiteren Bausteinen gehört die Nutzung der Windkraft. Um in diesem Bereich nach dem Abbau der zwei Windräder auf der Malser Haide im Jahr 2012 einen neuen Anlauf nehmen zu können, ist laut Michael Wunderer eine Anpassung des bestehenden Landesgesetzes unerlässlich. Der Initiativgruppe schwebt vor, dass an bestimmten Stellen im Vinschgau, wo die Windverhältnisse günstig sind und keine größeren Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes zu erwarten sind, sehr wohl Windkraftanlagen errichtet werden können und sollen. Die derzeitigen, sehr strengen Gesetzesbestimmungen des Landes schließen eine vernünftige Nutzung der Windkraft de facto aus. Zum Thema Windkraft hatte der Malser Bürgermeister Josef Thurner schon vor einiger Zeit ein Treffen mit Vertretern der Firma Leitwind in Mals organisiert. Neben Josef Thurner sind auch seine Amtskollegen Georg Altstätter (Martell), Dieter Pinggera (Schlanders) und Mauro Dalla Barba (Latsch) aktive Mitglieder der Initiativgruppe. Mit im Boot sitzen neben Albrecht Plangger, Michael Wunderer und Walter Gostner auch der Obmann und Geschäftsführer des Vinschgauer Energie Konsortiums VEK, Andreas Tappeiner und Alexander Telser.

Photovoltaik auch auf Freiflächen

Die Nutzung der Sonnenenergie darf nach Ansicht der „Initiative ENERGIE Vinschgau“ nicht nur auf Dächern möglich sein, sondern soll auch auf Freiflächen ausgedehnt werden. Michael Wunderer: „Warum soll es nicht möglich sein, eine Mülldeponie, eine Staumauer oder öffentliche Freiflächen mit Photovoltaikanlagen auszustatten?“ Die Initiativgruppe kann sich vorstellen, dass die Energie der Sonne im Vinschgau auf Flächen im Ausmaß von mehreren hundert Hektar genutzt werden kann. Ein großes Thema ist auch die Errichtung von Pumpspeicherkraftwerken. Bei solchen Werken wird das Wasser durch elektrische Pumpen in die Speicher gehoben, um später wieder für den Antrieb von Turbinen zur Stromerzeugung benutzt werden zu können. So wird in nachfrageschwachen Zeiten ein Überangebot von elektrischer Energie im Stromnetz aufgenommen und bei Spitzenlast wieder ins Netz abgegeben. Die Initiativgruppe denkt nicht an den Bau großer Pumpspeicher, sondern an kleinere, eventuell auch in Skigebieten, die den Strom ihrerseits für den Betrieb der Lifte und Anlagen nutzen könnten. Im Gebiet des Nationalparks soll es künftig untersagt sein, Pumpspeicherkraftwerke zu bauen. Dieses Verbot sei abzuschaffen, „denn Pumpspeicherkraftwerke sind im Sinne des Klimaschutzes und der Umwelt insgesamt eine gute und saubere Form der Energieproduktion“, ist Michael Wunderer überzeugt. Zu den weiteren Themenschwerpunkten der „Initiative ENERGIE Vinschgau“ gehören auch die Energiegemeinschaften, die Konzessionen der Wasserkraftwerke Graun und Schnals-Naturns (Vernagt-Stausee), die Zukunft der Fernheizwerke sowie Biomasse und Wasserstoff. Das zusammenfassende Ziel der Initiative ist es, die vielfältigen Potentiale im Tal für eine bessere Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu erheben und den Vinschgau Schritt für Schritt in die Klimaneutralität zu führen. Zusätzlich zu den Ausbaupotenzialen sollen auch konkrete Initiativen zur Förderung der Speichertechnologien (Netzstabilität, Versorgungssicherheit usw.), der nachhaltigen Mobilität, der sauberen Wärmeenergiebereitstellung und des Ausbaus der Digitalisierung gestartet werden.

Positionspapier für die Landesregierung

Auch politisch will die Initiativegruppe aktiv werden. Es geht dabei einerseits darum, der Landesregierung klare Forderungen zu unterbreiten und sie anderseits dabei zu unterstützen, Gesetzesänderungen anzugehen und auch vorzunehmen. Gedacht wird an Änderungen des Gewässerschutz- und Wassernutzungsplans sowie an Änderungen des Gesetzes, das die Nutzung der Windkraft einschränkt. Das Ziel des Landes und der Initiativgruppe ist dasselbe, sprich die schnellstmögliche Erreichung der Klimaneutralität. Mit der „Initiative ENERGIE Vinschgau“ hat der Vinschau in puncto Energie erneut eine Vorreiterrolle im Land übernommen. Am zusammenfassenden Positionspapier wird derzeit noch gefeilt. Sobald es in der endgültigen Fassung vorliegt, soll es dem Landeshauptmann Arno Kompatscher, der Landesregierung und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Wichtig ist der Gruppe, dass der Klimaschutz bei allen Maßnahmen auf derselben Ebene mit dem Landschaftsschutz und der Ökologie steht. Die Gruppe kann sich auch vorstellen, in Zukunft als eine Art von Kompetenzzentrum im Vinschgau aktiv zu werden und als Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Interessenvertreter zu fungieren.

Josef Laner
Josef Laner

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.