Knapp an der Katastrophe vorbei
Durch eine Staublawine sind Leben und Wirtschaften auf dem Bergbauernhof Breita in Frage gestellt.
Martell/Sonnenberg - Den Nikolausabend 2020 werden die Familien Tscholl auf dem Breita-Hof am Sonnenberg nie mehr vergessen. Jener Samstag, 5. Dezember, bedeutet für die Bergbauernfamilien eine Katastrophe. Eine Staublawine – im Dialekt eine Windlahn – gewaltigen Ausmaßes hatte sich kurz vor 22 Uhr auf einer Windbruch- oder Schneedruckfläche im darüber liegenden Wald gelöst und in Sekunden alles mitgerissen und zerstört, was ein Leben und Arbeiten auf 1.560 Höhenmetern erst ermöglicht. Aus eigener Kraft sind die wirtschaftlichen Schäden nicht mehr auszugleichen. „Es ist ein Wunder, dass es uns noch gibt“, sagte Altbauer Martl Tscholl, 82. Er bewohnt mit seiner Frau Irma Fleischmann vom benachbarten Berghof das untere Stockwerk des Bauernhofes, während Sohn Reinhard, 47, Schwiegertochter Thea, die Enkel Matthias, 20, und Carmen, 17, das obere Stockwerk des 2006 sanierten und erweiterten Bauernhauses bewohnen. Weder Martl, noch seine Frau können sich an ein ähnliches Naturereignis erinnern. Die Lawine habe sich wenige Meter oberhalb von Stall und Stadel geteilt. Auf der Westseite des Hofes wurden eine alte, zum Nachbarhof Marzon gehörende Mühle und das obere Stockwerk einer in den Hang gebauten Garage mit landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten mitgerissen. Zerstört wurden ein Transporter aus dem Jahre 2004, ein Traktor, der Ladewagen, das Heugebläse, die zwei AEBI-Kleinmähmaschinen mit Wendevorrichtung, Aufsatzwände für den Traktor und Heurechen. Mitgerissen wurde auch ein Hochsilo. Unversehrt geblieben ist die frei stehende Hofschmiede. In den darunter liegenden Wiesen verstreut wurden 35 Heuballen. Sie waren für die vier Kalbinnen vorgesehen, die sich im Freilaufstall oberhalb des Hofes befanden. Er wurde ebenfalls restlos zerstört.
Die Nachbarn waren sofort zur Stelle
Mit Hilfe der Nachbarn vom Berghof, der selbst von einer Lawine bedroht war, konnten drei Kalbinnen aus den Schneemassen gerettet werden. Die vierte war verletzt und musste notgeschlachtet werden. Inzwischen wurden sogar die meisten Heuballen im Gelände verstreut gefunden. Mit Hilfe der Nachbarn wurden auch die Dächer des Breita-Hofes abgeschöpft. Auf der Ostseite des Hofes riss die Staublawine das 2008 als Überdachung der Mistlege errichtete Holz-, Stroh- und Maschinenlager mit sich. Mit dem Schuppen wurden an die acht Kubikmeter verarbeitetes Brennholz, die 2015 angekaufte, vollhydraulische Mähmaschine samt Zusatzmaschinen, die Stachelwalzen, eine Traktorseilwinde, die Hobelmaschine, der Holzspalter, die Kreissäge, Schubkarren und Sensen in die Tiefe gerissen. Weggerissen wurden auch der erste, 1982 angekaufte und noch funktionstüchtige Agria-Einachser. „Die Lawine hat das Stadeldach zum Glück nur leicht gestreift“, meinte Reinhard Tscholl. Es habe seit Freitagnachmittag, 4. Dezember, ununterbrochen geschneit. „An dem Tag habe ich Holz aus dem Wald geholt, um Zaunpfosten zu schneiden. Noch am Tag darauf, am Samstag, habe ich die Zufahrt zum Freilaufstall ober dem Hof freigemacht. Die Straße ins Dorf konnte wegen der zunehmenden Lawinengefahr aber nicht mehr geräumt werden. Mittlerweile war auch der Strom ausgefallen. Durch unser eigenes Aggregat konnten wir aber noch melken und die restliche Stallarbeit verrichten. Danach sind wir zu Bett gegangen. Plötzlich ein kurzer Krach. Ein Graschgler (Knirschen), als würde Holz zusammengedrückt. Mein erster Gedanke war: Es wird mir doch nicht den Schuppen zusammengedrückt haben. Kurz zuvor hatte ich ihn noch mit Eisenstützen gesichert.“
Von Schneemassen eingeschlossen
Es wurde eine unruhige Nacht für die Bewohner auf Breita. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Im Schein der Taschenlampen sah man nur mehr aufgetürmt Schneemassen. Vom Schuppen auf der Mistlege war nichts mehr zu sehen. Man konnte sich noch mit den Nachbarn auf Berghof und dem Bürgermeister verständigen. Dann waren die Leitungen bis Sonntagmittag tot. Nach Tagesanbruch war es klar: Man war eingeschlossen. Schnelle Hilfe war wegen der Lawinengefahr nicht zu erwarten. „Geblieben ist uns nichts mehr. Nicht einmal mehr eine Sense“, meinte Altbauer Martl. Sohn Reinhard musste im Laufe des Sonntags beim Nachbarn auf Marzon eine Schubkarre leihen, um den Stall mit 6 Kühen, Kalbinnen, Jungvieh und Schafen auszumisten. Große Schäden hätten die Schneemassen auch an den Holzzäunen angerichtet, berichtete Reinhard. Mit den fast 500 Laufmetern Wildzaun war auch ein 150 m langer, neuer Holzzaun zerstört worden. Der Greifbagger am Waldesrand blieb verschont, während das Jauchefass und ein Anhänger 200 m in die Tiefe gerissen wurden. Wegen der Lawinengefahr konnte die Gemeinde Martell erst am Montag, 7. Dezember, die Straße zum Sonnenberg und zum Breita-Hof mit Fräse und Radlader freimachen. Erst dann war die Freiwillige Feuerwehr Martell unter Kommandant David Lee in der Lage, den Breita-Hof zu erreichen. Eine Woche lang wechselten sich jeweils 10 Mann der Feuerwehr, dazu Freiwillige und Nachbarn ab, um auf beiden Seiten den Hof von den Schneemassen frei zu legen. Die Gemeinde Martell hatte die Baufirma Niederwieser mit zwei Greifbaggern zu den Berghöfen und zum Breita-Hof geschickt. Der Familie Tscholl waren die große Solidarität von Gemeinde, Feuerwehr, Nachbarn und Freiwilligen Ermutigung und weckten Zuversicht.
Das Wunder auf Breita
Dass sich die Lawine geteilt und dadurch den Breita-Hof nicht mit voller Wucht getroffen hat, können sich Martl und Reinhard nicht recht erklären. Ob es nun an der Bodenerhebung am Speicherbecken oberhalb des Stadels (an der Tschöttagond) gelegen habe oder gar an zwei vereinzelten, dickstämmigen Lärchen, wissen die Tscholl nicht genau. Jedenfalls kann sich niemand an ein Ereignis dieses Ausmaßes erinnern. Nur 1986, bei der Schneekatastrophe, seien Lawinen abgegangen, allerdings in sicherer Entfernung. Eindeutig ist, dass die ersten Siedler für das Anlegen des Breita-Hofes den sichersten Geländevorsprung gewählt hatten. Bis zum Brand im Jahre 1843 gab es zwei Hofstellen auf Breita. Der Marteller Chronist und Frühmesser Josef Eberhöfer (+1864) führt den älteren Namen „Gegraita“ an. Altbürgermeister Erwin Altstätter findet darin die Wortstämme Rauten und Roden.
Feuerwehrhauptmann David Lee: „Am schlimmsten für uns war, helfen zu wollen, aber wegen der Lawinengefahr nicht helfen zu können.“ Lee war beeindruckt von der Schneemenge, als er am Montag mit 20 Wehrmännern den Breita-Hof erreichte, und entsetzt über das Ausmaß der Schäden an Maschinen und Arbeitsgeräten.
Bürgermeister Georg Altstätter: „Langfristig hoffen wir, dass die Forstbehörde weiterhin Verjüngungsmaßnahmen im überalterten Lärchenwald oberhalb des Hofes vornimmt. Kurzfristig ist eine Art Lawinen-Verbauung notwendig, um den Breita-Hof und die Berghöfe darunter abzusichern.“ Martells erster Bürger hatte Landtagspräsident Sepp Noggler und Landtagsabgeordneten Franz Locher zum Lokalaugenschein nach Breita begleitet.
Bauernbundobmann Armin Oberhofer: „Das Bewirtschaften eines Bergbauernhofes ist nicht nur ein Job, sondern eine Aufgabe, die mit Überzeugung und Liebe zur Natur und zu den Tieren ausgeübt wird. Ein beispielhafter Hof hierfür ist der Breita-Hof in Martell. Die Familie Tscholl führt den Hof mit Herzblut und engagiert sich zudem noch für ehrenamtliche Tätigkeiten im Tal. Bei einem Lawinenabgang am 5. Dezember 2020 ist am Hof großer Sachschaden entstanden. Um den Bauernhof zu erhalten und weiterführen zu können, ist die Familie auf unsere Unterstützung angewiesen.“
Spendenkonto Marteller Notstandsfond (IBAN-IT16V0811058579000302209276)
Raiffeisenkasse Latsch-Martell
Kennwort: Lawine Breitahof Martell