Kurioses aus alten Zeitungen
Publiziert in 36 / 2007 - Erschienen am 17. Oktober 2007
Meran, 19. Oktober 1883
„Der Burggräfler“
Wie soll man schreiben: Vinstgau, Vinschgau oder gar Vintschgau?
Um diese Frage lösen zu können, muss der Name unserer Nachbarlandschaft geschichtlich und sprachlich untersucht werden. Im oberen Etschtal wohnte vor der römischen Herrschaft, also vor Christi Geburt, der räthische Volkstamm der Venosten. Im 7. Jahrhundert kommt das obere Etschtal unter dem Namen „de Venostes“ vor und im 8. Jahrhundert nennt es Bischof Aribo von Freising, aus unserer Gegend, nämlich von Maja gebürtig (damit ist Mais bei Meran gemeint), in seiner Biografie des hl. Corbinian „Valis Venusta“, wohl besser Venosta. Unter Karl dem Großen um das Jahr 800 wurde das obere Etschtal von dem Falschauerbache bei Lana und dem Aschlerbache bei Gargazon bis hinauf zur äußersten Venostenfeste Finstermünz mit der Hälfte von Passeier, was nämlich am rechten Ufer der Passer liegt, zu einer fränkischen Gaugrafschaft – Pagus Venusta oder Venosta erhoben. Aus der Zusammenziehung von Venostengau ist Venstgau und mit der Änderung des Vokals Vinstgau entstanden. Also geschichtlich und sprachlich ist die richtige Schreibweise „VINSTGAU“. In den ältesten deutschen Urkunden, bis in die neuere Zeit herein, kommt der Gau an der oberen Etsch nur unter der Bezeichnung „ Vinsgown, Finisgown, Vinstgäu, Vinstgau“ vor. Erst im 17. Jahrhundert, wo die schöne deutsche Sprache förmlich gerädert wurde, schlich sich allmählich die neue Schreibung „Vinschgau“ ein. Nun in der neuesten Zeit ist man in den meisten wissenschaftlichen Werken und Zeitschriften zur ursprünglichen Schreibweise „Vinstgau“ zurückgekehrt und hat das Kauderwelsch „Vinschgau oder Vintschgau“ über Bord geworfen.
Dieser Artikel, der nunmehr 123 Jahre alt ist, führt uns vor Augen, dass Sprache etwas Lebendiges ist, etwas, was ständig Veränderungen unterworfen ist. Dies macht es aber erforderlich, dass wir auch unserer Sprache und ihren lokalen Besonderheiten unsere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Mit Sprache, im Besonderen mit Namen in all ihren Facetten, lässt sich Identität verbinden. Die Veränderung in der Schreibweise von Vinschgau lässt sich auf verschiedene Weise erklären, eines bleibt aber immer gleich: nämlich der Artikel! Es heißt nicht DAS Vinschgau, wie wir neuerdings des Öfteren hören und lesen, sondern DER Vinschgau! Der Artikel von Gau ist männlich!
Helene Dietl Laganda