Landesweites Vorzeigemodell
Publiziert in 7 / 2002 - Erschienen am 11. April 2002
Wir haben daheim keine Kuhmilch, wir trinken nur Senni Milch", so sagte ein Schüler kürzlich in Langtaufers, als er beim Melken zuschaute. Diese Aussage ist bezeichnend dafür, wie wenig manche Kinder heute noch über die Herkunft und Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten wissen, geschweige denn vom Leben und Arbeiten der Bergbauern, von alten Traditionen oder bäuerlichem Handwerk. Diese Wissenslücke versucht die "Erlebnisschule Langtaufers" seit zwei Jahren zu schließen - mit Erfolg, wie der große Andrang beweist. Es ist interessant festzustellen, dass die Erlebnisschule derzeit beispielsweise in den Schulen des Burggrafenamtes in aller Munde ist. Die drei Tage in Langtaufers scheinen zu beeindrucken. Im Tal selbst weiß noch lange nicht jeder, was es mit dieser Schule für eine Bewandtnis hat.
Mittlerweile haben bereits über 2000 Grund- und Mittelschüler aus dem ganzen Land das Bergbauernleben kennen gelernt. Sie konnten sich mit dem Arbeiten auf dem Feld, der Herstellung traditioneller Produkte, mit Geschichte, Flora und Fauna des Tales vertraut machen und selbst Hand anlegen. Nach der Terminvereinbarung kommen die Schüler in Begleitung ihrer Lehrpersonen nach Langtaufers. Sie schlafen in Bauernhöfen – derzeit nach Geschlechtern getrennt auf sieben Höfe aufgeteilt. Während des "Schulbesuches" erleben die Schüler das Bergtal mit all ihren Sinnen. Ob beim Kübeltreiben, beim Filzen, im Stall, im Streichelzoo, bei Exkursionen mit Förstern, überall gibt es etwas zu kosten, zu riechen, anzugreifen, zu streicheln. Serviert wird Bauernkost aus heimischen Produkten. Dass Dialekt gesprochen wird, ist ebenfalls ein Wesenszug der Erlebnisschule.
Als im Jahre 1992 die Grundschule Hinterkirch in Grub wegen mangelnder Schülerzahlen ihre Tore schloss, machte sich zuerst Resignation breit. Irgendwann dachte man darüber nach, was mit dem leerstehenden Gebäude geschehen könnte. In der Grauner Gemeindestube um Bürgermeister Albrecht Plangger und seinem Vize, Florian Eller, reifte die Idee, eine Bergschule einzurichten, die Kindern, zeitlich begrenzt, bäuerliche Strukturen näher bringen sollte. Gleichzeitig könnte dadurch auch etwas für das Überleben im Tal getan werden. Man fand in Vertretern des Südtiroler Bauernbundes und im Assessorat für Schule und Kultur Ansprechpartner. Die ersten Reaktionen waren positiv. Diskutiert wurde eine Freistellung von Lehrern für die Bergschule. Der Bauernbund stellte eine eventuelle Trägerschaft des Projektes in Aussicht. Eine Kommission knüpfte in einem weiteren Schritt Kontakte mit den Schuldirektoren im Obervinschgau, um den methodisch didaktischen Bereich und die Lehrpläne auszuarbeiten. Weiters kam es zu einer Ausprache in Grub unter anderem auch mit dem Universitätsdozenten, Gottfried Tappeiner und zu einer Klausurtagung in der Fürstenburg, bei der die Rahmenbedingungen festgesetzt wurden. Mit diesen konkreten Vorstellungen trat die Gruppe vor Landeshauptmann Durnwalder, der sich positiv zur Erlebnisschule äußerte. Bald darauf schlief das Projekt allerdings wieder ein, da es zu wenig energisch vorangetrieben wurde. 1999 fand die Gemeinde im EU-Programm, LEADER II und dem "Verein Zentrum für permanente Weiterbildung" den Partner, der den entscheidenden Antrieb für die Umsetzung "Erlebnisschule Langtaufers" gab. LEADER übernahm die Trägerschaft, das Schulamt genehmigte die Freistellung eines Lehrers mit unbefristetem Auftrag. Wolfgang Thöni, ein gebürtiger Langtauferer, bewarb sich und bekam die Stelle zugesprochen. Er leitet die Schule seither in methodisch didaktischer Hinsicht. Die Grundschullehrerin Zita Paulmichl unterstützt ihn einige Stunden. Für die Organisation (Zimmer, Busfahrten Begrüßung und Zuteilung der Kinder) ist Christl Stocker Perkmann verantwortlich. Ihr Organisationstalent bürgte schon in Vergangenheit für den Erfolg unzähliger LEADER-Projekte. Das ist auch in Sachen "Erlebnisschule" nicht anders. Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten, Vermietern, Bauern, Förstern funktioniere hervorragend, betont sie.
Der Erfolg der Schule zeige, so Gustav Tschenett, von der “Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung”, dass Entwicklung, wie im Rahmen von LEADER II, in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten Synergien frei mache, die sonst nicht möglich wären.
Der Startschuss in Grub erfolgte mit einem Probelauf im Mai 2000. Im Herbst gings mit dem Schulbetrieb effektiv los, jeweils mit einer Schulklasse im Dreitages-Rhythmus. Seit dem Schuljahr 2001/2002 bietet die "Erlebnisschule" Platz für zwei Schulklassen. Neu ist auch der Bus – Abholdienst. Einen Teil der Kosten für den Aufenthalt tragen die Schüler selbst.
Die Schule bietet den Bauern und Bäuerinnen willkommene Nebenerwerbsmöglichkeiten. Kinder werden als Werbeträger zu Multiplikatoren. Einige von ihnen sind bereits mit den Eltern wieder gekommen.
Die Erlebnisschule sei total positiv zu sehen, erklärt der Vermieter, Richard Fliri, sie komme ohne riesige Investitionen aus und bringe doch etwas. Örtliche Werte würden in den Vordergrund gestellt. Das Selbstbewusstsein der Bevölkerung steige und genauso das Ansehen des Tales.
Obwohl die Schule auf sehr großes Interesse stößt (siehe Grafik) und bereits bis Juni 2002 ausgebucht ist, ist sie, wie eigentlich alle Bildungseinrichtungen, noch weit davon entfernt, kostendeckend zu arbeiten. Bezüglich der zukünftigen Finanzierung sind nun nach dem Ende des LEADER- Programmes Unsicherheiten aufgetreten. Für den Direktor des Schulsprengels Graun, Reinhard Zangerle, sollte die Erlebnisschule Langtaufers von politischer Seite her etabliert werden, da sie von landesweitem Interesse sei. Erlebnispädagogik habe einen unschätzbaren Wert und man könne die Kosten nicht zur Gänze auf die Kinder abwälzen. Derzeit werden durch die “Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung” auf vielen Ebenen angestrengte Verhandlungen geführt. Neue Bausteine sind in Ausarbeitung, z.B. Siedlungsgenese, Dialekt, Ökologie des Hochgebirges und vieles mehr, um die Schule auf ein gesichertes Fundament zu stellen.
Von den Verhandlungen hängt es ab, ob Langtaufers die Chance hat, sich im Bereich des viel beschworenen sanften Tourismus weiter zu entwickeln und nicht zuletzt auch, ob Kinder auch weiterhin ihre Eindrücke ins Gästebuch schreiben können, wie kürzlich ein Junge: "In Longtaufers isch es super, A Wundr! Sogor di Schual mocht Spaß!" Und ein Mädchen aus dem Meraner Raum brachte zu Papier: „Die drei schönsten Tage in meinem Leben.“
Brauchen langfristige Finanzierung
DER VINSCHGER: Die Erlebnisschule Langtaufers arbeitet seit zwei Jahren sehr erfolgreich.
Welche Bilanz können Sie ziehen?
ELLER FLORIAN: Nach anfänglicher Skepsis hat man im Tal erkannt, dass die Schule eine große Chance für das Tal darstellt. Die Schule läuft gut. Ein Dank gebührt der Gemeindeverwaltung den Verantwortlichen von LEADER, insbesonders Gustav Tschenett Christl Perkmann und Wolfgang Thöni, der rund um die Uhr für die Schule da ist. Wegen der Streusiedlungen im Tal konnten aus organisatorischen Gründen bisher nur Bauern in unmittelbarer Nähe in das Projekt miteinbezogen werden. Aufgrund des Andranges wäre eine Ausweitung ohne weiteres möglich. Das Problem liegt allerdings bei der Finanzierung. In diesem Zusammenhang ist im Moment vieles noch nicht geklärt.
Heißt das, Sie wissen noch nicht, wie es weitergehen soll.
Noch herrscht große Unsicherheit. Die Gespräche in den nächsten Tagen und Wochen werden über den Fortbestand der Erlebnisschule entscheiden. Über die Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung bemühen wir uns um Mittel aus dem Europäischen Sozialfond ESF. Ob wir berücksichtigt werden, hängt von der Entscheidung der Landesregierung ab. Wir führen auch Gespräche mit dem Schulamt. Welche Aufgaben dem neuen Schulsprengel Graun zufällen könnten, ist auch noch zu klären.
Was passiert, wenn die Unterstützung ausbleibt?
Das wäre ein schwerer Rückschlag für das Tal. Das bisher Geleistete würde verglühen, wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Erlebnisschule braucht unbedingt noch Zeit und die Sicherheit einer längerfristigen Finanzierung.
Interview: Magdalena
Dietl Sapelza
Magdalena Dietl Sapelza