Kämpfen für die Bahn
Pro Bahnverbindung Scuol-Mals 2032
Das Interesse an einer Anbindung der Vinschger Bahn (im Bild die Bahn in Laas) an die Rhätische Bahn wird auch in der Schweiz zunehmend größer.
Not Carl

„Man muss sich Ziele setzen!“

Not Carl: „Bahnverbindung mit der Schweiz liegt politisch exakt im Trend.“

Publiziert in 3-4 / 2021 - Erschienen am 4. Februar 2021

Scuol/Mals - Not Carl ist nicht nur ein passionierter Alphornbläser, sondern auch ein leidenschaftlicher Verfechter für eine Bahnverbindung Scuol-Mals. Im Interview mit dem der Vinschger gibt er sich überzeugt davon, dass die Zeit für eine solche Verbindung gekommen ist. 

der Vinschger: Herr Not Carl, Sie haben vor gar nicht langer Zeit eine eigene Facebook-Gruppe gegründet, die mittlerweile auf über 2.200 Mitglieder angewachsen ist, und kürzlich wurde auch die WEB-Seite www.scuol-mals.com freigeschaltet. Was will die Arbeitsgruppe „Pro Bahnverbindung Scuol-Mals 2032“ erreichen?

Not Carl: Der Name der Arbeitsgruppe drückt es bereits aus. Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher rührt bekanntlich seit Jahren die Trommel für eine Bahnverbindung Mals-Scuol. Anlässlich einer öffentlichen Veranstaltung in Taufers im Münstertal im Jahr 2016 referierte er zum Thema Bahnverbindungen. Die einzige realistische Variante sei für ihn ein Eisenbahntunnel zwischen Mals und Scuol. Leider halte sich aber das Interesse der Schweiz für diese Bahnverbindung in Grenzen. Er sei aber zuversichtlich, eine Möglichkeit zu finden, damit auch die Schweiz mitmache. Seit ich dies 2016 im der Vinschger las, ließ mir das Thema keine Ruhe mehr. Hauptziel unserer heutigen Arbeitsgruppe ist es deshalb, aufzuzeigen, dass auch das Engadin, Graubünden und die Schweiz an der nachhaltigen Mobilität im Dreiländereck und an dieser Bahnverbindung interessiert sind.

der Vinschger war also Auslöser für die Bildung der Arbeitsgruppe?

In gewissem Sinne schon. Wenn man sich für das Engadin einsetzten will, kann es nicht gleichgültig sein, was in den Nachbarregionen Tirol und Südtirol geschieht. Wir sitzen ja praktisch alle im gleichen Boot, was die Mobilität in der Terra Raetica anbelangt. So las ich im November 2018 in der Zeitung „l’Adige“ auch den Artikel: „Kompatscher da Juncker: ok alla ferrovia Venosta-Grigioni“. Und ein Jahr später ließ sich LH Kompatscher selbst in großen Schweizer Zeitungen mit der Aussage zitieren, die EU könnte bis zu einem Drittel der Kosten einer Bahnverbindung Mals-Scuol übernehmen. Da fiel bei mir der Groschen, zumal der Engadiner Großrat Mario Salis die Aussagen von LH Kompatscher im Bündner Parlament thematisierte.

Wie ist derzeit die Stimmung im Engadin, im Kanton Graubünden und in der gesamten Schweiz in Bezug einer Bahnverbindung Scuol-Mals?

Nun, die von mir gegründete Facebook-Gruppe mit zwischenzeitlich 2.270 Mitgliedern ist ein Indiz dafür. Im Engadin stelle ich bei gewissen Leuten eine regelrechte Euphorie fest und es ist auch nicht selbstverständlich, dass vor rund einem Monat über die Hälfte aller Parlamentsabgordneten Graubündens einen entsprechenden „Auftrag“ an die Regierung unterzeichnet haben, die Angelegenheit voranzutreiben.

Kommt für die Arbeitsgruppe als mögliche Verbindungs-Achse ausschließlich Scuol-Mals in Frage oder wären auch andere Varianten denkbar, wie etwa die Reschenbahn?

Hauptziel unserer Arbeitsgruppe ist, die nachhaltige Mobilität im Dreiländereck von der Basis aus voranzutreiben. Es ist Sache der nun durch die Länder eingesetzten Fachkommission zu beurteilen, welche Variante technisch machbar, landschaftlich verträglich und bei einer Kosten-Nutzen-Analyse am ehesten sinnvoll und zu priorisieren ist. Man muss dabei bedenken, dass die Reschenbahn allein zwischen Pfunds und Nauders über 400 Höhenmeter überwinden müsste und sich dann über die offene Malser Haide wieder 350 Höhenmeter nach Mals hinunterwinden müsste. Obwohl der Reschenpass landschaftlich durchaus seine Reize hat, sollte die neue Bahnverbindung unseres Erachtens auch einen massiven Reisezeitgewinn anstreben. Dazu eignet sich die Reschenroute nicht. 

Welche Vorteile hätte eine Bahnverbindung mit der Schweiz für den Vinschgau und Südtirol bzw. für Graubünden und die Schweiz?

Die neue Verbindung würde eine Verlängerung der erfolgreichen Erlebnisbahn von Zermatt und St. Moritz bis nach Venedig bedeuten, an welcher insgesamt sieben UNESCO Welterbe-Stätten liegen. Damit würde der sogenannte Glacier-Express, der schon heute zu den „Top Ten“ der schönsten Eisenbahnen der Welt gehört, noch massiv an Attraktivität gewinnen und dies zum Wohle aller angeschlossenen Regionen. Die Erfolgsgeschichte des Glacier-Express belegt, dass eine solche Erlebnisbahn auch großes volkswirtschaftliches Potential birgt. So werden schon heute rund 40% der Sommer-Logiernächte von St. Moritz direkt oder indirekt über den Glacier-Express generiert und dieser hat seit dem Relaunch von 1982 bis heute über 8 Millionen Gäste beglückt. Zudem ist heute - und hoffentlich auch nach dieser schlimmen Coronazeit - das sogenannte „Touring“ absolut im Trend. Ja, im Tunnel Scuol-Mals und in jenem nach Bormio könnten sogar elektrische Hochspannungskabel nach Italien verlegt werden, nachdem in Scuol die internationale ACHI-Leitung vorbeiführt. Das wäre wohl auch günstiger als die jetzt geplanten 85 Mio. Euro der Terna am Reschenpass und zudem würden damit viele Hochspannungsmasten verschwinden.

In Graun am Reschensee haben Regierungsmitglieder aus Südtirol, Tirol, Graubünden und der Lombardei im September 2020 eine Absichtserklärung unterzeichnet, wonach ein attraktives Alpenbahnkreuz im Rätischen Dreieck geschaffen werden soll. Was erwarten Sie sich von dieser Absichtserklärung?

Wir erwarten als nächsten Schritt die speditive konkrete Planung und damit die definitive Wahl der prioritären Linienführung. Im Norden ist der Beginn der Linie in Scuol gesetzt. Damit gleichzeitig auch das Val Müstair von der neuen Bahnlinie profitieren kann, ist ein südliches Tunnelportal im Raum Müstair/Taufers genau zu prüfen. Das Alpenkreuz Terra Raetica sieht ja neben der Verbindung vom Unterengadin ins obere Vinschgau auch eine Bahnlinie von Sta. Maria nach Bormio vor. Sowohl Scuol als auch Müstair und Bormio liegen etwa auf gleicher Meereshöhe (zwischen 1.215 und 1.280 Meter über dem Meer), sodass die beiden Tunnels etwa eine horizontale Linienführung erhalten würden. Und von Mals nach Sta. Maria benötigt es ja ohnehin eine Zufahrtslinie. Deshalb sollte eine Linienführung via Val Müstair quasi als Vorinvestition miteingeplant werden. Der Bahnhof Mals liegt ja auf 1.000 Meter über dem Meer.

Wie stark oder schwach ist der Rückhalt der Schweizer Politik für eine Bahnverbindung?

Auf Schweizer Seite hat sich die Ausgangslage für die Finanzierung eines solchen Projektes seit kurzem stark verbessert. Die Schweizerische Eidgenossenschaft besitzt heute dafür ein spezielles Finanzierungsinstrument, nämlich einen Bahninfrastrukturfonds. Sollten die nun eingeleiteten Abklärungen zügig vorangehen und zu Ergebnissen führen, könnte der Kanton Graubünden gemäß unserem Verkehrsminister unverzüglich mit dem Bund in Verhandlungen treten. In der Schweiz ist es nämlich schlussendlich der Bund, der den schweizerischen Anteil schließlich auch finanzieren würde.

Hinter vorgehaltener Hand wurde schon mehrfach geäußert, dass eine Anbindung Mals-Scuol in etwa eine Milliarde Euro kosten würde. Wie könnte eine derartige Summe gestemmt werden, speziell in der Zeit nach dem wirtschaftlichen Einbruch infolge der Covid-19-Pandemie?

Nun, in der Schweiz haben wir dafür, wie gesagt, einen speziellen Fonds. Anderseits hat sich ja die EU zum „Grünen Deal“ bekannt, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Die elektrisch zu betreibende neue Bahnverbindung würde ideal dazu passen. Auch sonst liegt diese Bahnverbindung politisch exakt im Trend. Sie unterstützt Randregionen ebenso wie Bevölkerungs- und sprachliche Minderheiten: Graubünden und Südtirol sind ja die einzigen Regionen, die Italienisch, Romanisch/Ladin und Deutsch als Staatssprachen führen und pflegen.

Wie kamen Sie eigentlich dazu, auf allen Ebenen für diese Bahnverbindung zu kämpfen? Waren bzw. sind Sie beruflich oder politisch mit diesem Thema befasst?

Ich habe mich, heute 71-jährig, lebenslänglich für das wirtschaftliche Überleben des Unterengadins eingesetzt. Das begann in den 1980er Jahren mit der Realisierung des bekannten Scuoler Erlebnisbades in meiner Zeit als Gemeindepräsident für gut 50 Millionen Schweizer Franken. Vor wenigen Jahren brachte ich schließlich auch das gemeindeeigene Glasfasernetze ins Engadin, das in nächster Zeit im Bereich Hochfinstermünz auch an das Tiroler und Südtiroler Netz angeschlossen werden soll. Dabei kam mir immer mein Beruf als Jurist entgegen und ebenso die Tatsache, dass ich Parlamentspräsident in Graubünden war und mir dabei ein wertvolles Netzwerk aufbauen konnte.

Was hat die Jahreszahl 2032 im Arbeitsgruppennamen zu bedeuten?

Wenn alles planmäßig läuft und sich alle Involvierten in den drei Nachbarregionen bemühen, sollte 2032 der erste Zug von Mals nach Scuol fahren können. Man muss sich Ziele setzen im Leben!

Welche Schritte bzw. Maßnahmen von Südtiroler Seite wären Ihrer Meinung nach angebracht, um das Vorhaben voranzubringen?

Ich denke, ich habe das vorhin schon beantwortet und ich habe volles Vertrauen in Südtirols Behörden. Schließlich sind ja maßgebende Südtiroler wie Verkehrslandesrat Daniel Alfreider, Landtagspräsident Sepp Noggler, Landtagsabgeordneter Hanspeter Staffler, STA-Präsident Martin Ausserdorfer und andere zu meiner großen Freude ebenfalls Mitglieder meiner Facebook-Gruppe (lacht).

Welchen Stellenwert hat der parlamentarische Auftrag in Bezug auf die Verbindung Vinschgauerbahn-Rhätische Bahn mit 68 Mitunterzeichner*innen, der im Dezember 2020 von Großrätin Valérie Favre Accola eingereicht wurde?

Er zeigt, dass die Mehrheit der Bündner Parlamentarier*innen unser Anliegen unterstützt und der Bündner Regierung im Hinblick auf ein zügiges Vorgehen den Rücken stärken will. Ich bin unserer Präsidentin, Großrätin Favre Accola, diesbezüglich sehr dankbar und übrigens der ganzen Arbeitsgruppe, darunter auch dem auch im Südtirol bekannten Verkehrsplaner und Bahnspezialisten Ing. Paul Stopper. Alle geben ihr Bestes!

Wer ist Not Carl?

Not Carl ist 71 Jahre alt und passionierter Alphornbläser. Er war 15 Jahre Gemeindepräsident von Scuol und auch Vorsitzender des Parlaments von Graubünden. Im Engadin ist er als „Macher“ bekannt. So gilt er als „Vater“ des Erlebnisbades in Scuol und war in den letzten Jahren auch darum bemüht, dass die Gemeinden nun über eigene Glasfasernetze verfügen, Dank einem Tauschgeschäft mit der Rhätischen Bahn, selbst durch den Vereinatunnel. Seine Facebook-Gruppe „Pro Bahnverbindung Scuol-Mals“ ist öffentlich und neue Mitglieder sind willkommen.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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