Martell macht sich auf den Weg zur starken Marke
Publiziert in 11 / 2013 - Erschienen am 27. März 2013
Im ESF-Projekt „Standortentwicklung und -sicherung“ von 2008 ging es um Problemlösungen. Mit dem aktuellen ESF-Projekt seit Oktober 2012 will sich das Beerental ein unverwechselbares Markenprofil schaffen.
Martell - Die Marteller sind inzwischen routinierte Projektbetreiber. Nach der Standortentwicklung im Rahmen der „Agenda 21“ gemeinsam mit fünf weiteren, abwanderungsgefährdeten Gemeinden darf Martell neuerlich in den Topf des Europäischen Sozialfonds greifen. Diesmal sind die Bewohner des Beerentales allerdings nicht mehr in die Ferne geschweift und haben sich nicht nur Impulsgeber von außen geholt. Sie haben sozusagen um die Ecke geblickt und das Angebot des stellevertretenden Leiters des Instituts für Public Management der Europäischen Akademie, Josef Bernhart, angenommen. Der gebürtige Morterer stellte den Nachbarn nicht nur das Expertenwissen der EURAC und das unter der Bezeichnung „GemNova.Net“ funktionierende Netzwerk aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, bewährten Erfahrungen und innovativen Lösungen zur Verfügung, sondern holte als Partner auch den Südtiroler Bauernbund ins Boot. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse erwarteten sich Bernhart und Martells Bürgermeister Georg Altstätter von Günther Botschen, Assistenzprofessor am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus der Universität Innsbruck. Erfahrung und Innovation erhofften sie sich von der Innenarchitektin und Shopdesignerin Heike Brandt aus Berlin und von Erich Stekovics, dem „Kaiser der Paradeiser“ aus Frauenkirchen im Burgenland. Im Mittelpunkt des Treffens im Freizeitzentrum Trattla stand das von Botschen und einer Steuerungsgruppe „partizipativ angelegte Projekt zur Entwicklung und kontinuierlichen Umsetzung des Markenprofils Marteller Beerental“. Nach der Begrüßung durch Bürgermeister Altstätter staunte Bauernbundvizedirektor Ulrich Höllrigl über die Professionalität der eingeladenen Experten - „Nicht einmal in Bozen treten solche Referenten auf“ - und bescheinigte den Martellern Erfahrungen und Vorsprung im Besetzen von Marktnischen.
Martell muss sich
ganzjährig abheben
Moderator Bernhart stellte Günther Botschen als „bodenständigen Professor“ vor, der in seinem Konzept eine Entwicklung aus den eigenen Stärken vorsehe. Der Projektbetreuer startete mit den „Erfolgsmustern“ der Vergangenheit und stellte sie in ein Gradnetz mit mittlerer, hoher und sehr hoher Differenzierungskraft auf einer vertikalen Achse und nach Prozentanteil an Energiebruch oder Erfolgsmuster auf der horizontalen. Den Begriff Energiebruch verwendete der Referent höflich für Ablehnung. Als wichtiges Alleinstellungsmerkmal, das sowohl in Martell als auch außerhalb so gesehen wird, bezeichnete Botschen die „Erdbeeren von höchster Güte“. Die Besonderheit „Naturparadies im Nationalpark“ weise zwar einen hohen Grad an Besonderheit auf, werde aber nicht als solche wahrgenommen und genützt. Wesentlich höher würden die Marteller „Außergewöhnliche Attraktionen“ und „Sportliche Aktivitäten und Erlebnisse in unberührter Natur“ bewerten. Der Referent maß diesen Bereichen bei weitem nicht die Differenzierungskraft zu wie dem Naturpark. Weniger als Unterscheidungsmerkmal, aber bedeutende Voraussetzung wurde die „Herzliche familiäre Atmosphäre“ eingestuft. Die einzelnen Bereiche wurden dann durchleuchtet und interpretiert und mit Schwächen und Stärken vorgestellt. Am Ende setzte Botschen das zukünftige Markenprofil wieder optisch in Szene. Das Beerental wurde in der Graphik flankiert von oben nach unten durch „Bauen mit ursprünglichen Materialien“ bis hin zu einem typischen Stil, vom „Erleben und Entspannen im Nationalpark Stilfserjoch“, von den Slow Food- und Arche Noah-Bewegungen zu sportlich-kulturellen Ereignissen; alle gemeinsam auf der Grundlage des „Genießen in familiärer Herzlichkeit“ und der „Naturverbundenen Aktivitäten“ beruhend. Zusammenfassend sprach er von einen „Kultivierten Ursprünglichkeit, weil das Martelltal Bewohner und Besucher ganzjährig mit authentischen Angeboten erfreut.“
Was man hat, muss man leben
Nach den Schemata des Universitätsdozenten tauchte vor den staunenden Martellern das pralle Leben des Erich Stekovics auf. Für ihn, den „Kaiser der Paradeiser“ hatte Josef Bernhart aus aktuellem Anlass den Namen „Papst der Paradeiser“ parat. Der Gastredner quoll über von Wissen und Begeisterung für sein Produkt. Was die Deutschen als Tomate und die Österreicher samt Südtiroler als Paradeis bezeichnen, wurde im Vortrag des Schäferhof-Bauern aus dem Burgenland zu einer Köstlichkeit. Die Menschen reißen sich darum, weil er auf seinem Hof bereit sei, 24 Stunden für und durch die „Paradeiser“ zu leben und seine Besucher - 30.000 im Jahr - mitleben zu lassen. Die Zuhörer in Trattla saugten die begeisternden Worte auf, als Stekovics es auf den Punkt brachte: „Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass der Betrieb davon lebt, dass Leute was erleben.“ Glasklar stellte er fest, dass die Landwirtschaft beim Auseinanderbrechen sei und der Landwirt - seiner Meinung nach der schönste Beruf der Welt - nur drei Möglichkeiten habe: 1. größer zu werden, 2. sich zu unterscheiden oder 3. aufzuhören. Wortreich überraschte er mit der Geschichte von der „Mitzi Schindler“, einer Erdbeersorte aus Sachsen, die nicht sehr ertragreich sei und sich nach dem Pflücken sofort verändere. Daher werde auch nur dann ab Hof verkauft, wenn der Kunde dabei sei. Warum sollte man nicht wie die Weinbauern auch aus der Erdbeere ein Kulturgut machen, stellte er die Frage in den Raum.
Geschichten und Erlebnisse tauchten auch im Vortrag „Gestaltung von Markenwelten und Shop Design“ als Aufhänger auf. Laut Heike Brandt gehe es auch im Einzelhandel darum, sich und das eigene Produkt als Marke über das „story telling“, über das Geschichten Erzählen, unter die Leute zu bringen, neudeutsch zu kommunizieren. Anhand eines Schuhgeschäftes in Bozen, einer Patisserie in Korea, der Tiroler Sparkasse in Innsbruck und des Bäckereibetriebes Ruetz in Kematen erklärte sie in Martell: „Die Marke hat nur dann eine Ausstrahlung, wenn die Menschen diese auch lebten“. Gute Produkte anzubieten, sei zu wenig, man müsse auch die passende Atmosphäre dazu schaffen.
Günther Schöpf
Günther Schöpf