„Modell der Zukunft“
Publiziert in 35 / 2016 - Erschienen am 5. Oktober 2016
Viel Lob für Gesundheitszentrum im Val Müstair
Sta. Maria - „Mit seinem sehr breitgefächerten Angebot an Leistungen ist das Gesundheitszentrum in Santa Maria im Val Müstair zu einem Modell für eine Gesundheitsversorgung aus einer Hand geworden.“ Dies sagte Christian Rathgeb, der Regierungspräsident des Kantons Graubünden, kürzlich bei einer Pressekonferenz im Anschluss an eine Besichtigung und ein Arbeitstreffen mit den Führungskräften des „Center da sandà Val Müstair“. Das Gesundheitszentrum ist das kleinste Spital der Schweiz. Es versorgt nicht nur die derzeit rund 1.500 Einwohner, sondern auch die Touristen, die im Val Müstair ihre Ferien verbringen. Rathgeb war zusammen mit seinem Departements-
Sekretär Claudio Candinas und Rudolf Leuthold, dem Vorsteher des Gesundheitsamtes, nach Sta. Maria gekommen. Die für das Gesundheitswesen zuständigen Politiker und Führungskräfte touren alle zwei Jahre durch den Kanton, um alle Spitäler bzw. Zentren zu besuchen. „Das Gesundheitszentrum in Sta. Maria leistet sehr gute Arbeit. Hier wird die Idee der ganzheitlichen Gesundheitsversorgung vorbildhaft umgesetzt. Der Kanton bekennt sich weiterhin voll und ganz zu dieser Struktur im Val Müstair“, sagte Rathgeb. Auch dank der richtigen Strategie für die Zukunft sei der Weiterbestand des
Zentrums nicht gefährdet. Die Struktur habe eine positive Strahlkraft für den ganzen Kanton.
Das Leistungsangebot reicht vom Akutspital und der medi-
zinischen Praxis bis hin zum Pflegeheim, Spitex (Hilfe und Pflege Zuhause), Mahlzeitendienst,
Mütter- und Väterberatung, Zahnarzt, psychiatrische Beratung, Physiotherapie und Fußpflege. Im Vorjahr wurden 160 Patienten stationär aufgenommen. Leistungen der medizinischen Praxis wurden 7.500 Mal in Anspruch genommen. Im Pflegeheim können 28 Personen aufgenommen werden. Auch zeitweise Aufnahmen sind möglich, etwa als Entlastung pflegender Angehöriger. Die Zahl der Spitex-Klienten beläuft sich auf rund 70. Die integrierte medizinische Versorgung bietet den Patienten auch eine Kontinuität der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, der Pflegefachleute und der Spitex-Fachkräfte. Sie bilden zusammen ein interdisziplinäres Team, das sich austauscht.
Gesundheitstourismus
Hand in Hand mit der Abwanderung, die im Val Müstair stattfindet, ist auch die Auslastung im „Center da sandà“ in manchen Bereichen rückläufig. Das Gesundheitszentrum setzt nicht zuletzt auch deshalb auf den so genannten Gesundheitstourismus. „Immer mehr Gäste wünschen sich eine gute gesundheitliche Versorgung im Ort, wo sie ihren Urlaub verbringen“, sagte der Chefarzt Theodor von Fellenberg. Seitens von Hotels und Gastbetrieben habe es in diesem Sinne bereits zahlreiche positive Rückmeldungen für das Gesundheitszentrum gegeben. Besonders Urlauber, die aus großen Ballungszentren an-
reisen, wüssten es zu schätzen, dass sie relativ schnell zu einer Diagnose kommen. Besonders beliebt und gefragt sei der ganzheitliche medizinische Ansatz. Gewährleistet wird dieser von Ärzten mit breitem Wissen, umfangreicher Ausbildung und großer Erfahrung. Die Bemühungen des Gesundheitszentrums in punkto Gesundheitstourismus nannte Rathgeb als pionierhaft. Es gelte nun, vermehrt auch Bewohner und Gäste aus den Nachbarregionen anzusprechen, sprich aus dem Vinschgau bzw. aus Südtirol, aus Bormio und weiteren italienischen Gemeinden.
Offen für Zusammenarbeit
Die Kantonalregierung sei an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit interessiert. Mit Roberto Maroni, dem Präsidenten der Region Lombardei, sei bereits eine diesbezügliche Absichts-
erklärung unterzeichnet worden. Über konkrete Formen der Zusammenarbeit mit der Gemeinde Taufers im Münstertal und weiteren Gebieten im Vinschgau werde er in Kürze bei einem Treffen mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrätin Martha Stocker beraten.
Rathgeb: „Unsere Türen sind offen.“ Mehrfach unterstrichen haben der Regierungspräsident sowie die Kommissions-Präsidentin Gabriella Binkert Becchetti und die Direktorin Judith Fasser die wirtschaftliche Bedeutung des Gesundheitszentrums für das gesamte Val Müstair. So gehört das „Center da sandà“ zu den größten Arbeitgebern im Tal. Insgesamt sind 85 Personen beschäftigt, was 56 Vollzeitstellen entspricht. Knapp die Hälfte der Beschäftigten stammt aus dem Vinschgau, „worüber wir uns sehr freuen“, wie Fasser ausführte. Eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Vinschgau gibt es bereits seit vielen Jahren zwischen verschiedenen Rettungsorganisationen dies- und jenseits der Grenze, speziell mit dem Weißen Kreuz Mals, der Freiwilligen Feuerwehr von Taufers i.M. und weiteren Wehren. Zum Arbeitstreffen waren auch Vertreter aus den Nachbarregionen eingeladen worden. Aus dem Vinschgau waren die Tauferer Bürgermeisterin Roselinde Gunsch Koch und ihr Malser Amtskollege Uli Veith nach Sta. Maria gekommen. Veith gab sich überzeugt, „dass auch wir im Vinschgau bzw. in ganz Südtirol von diesem Modell der Gesundheitsversorgung etwas lernen können.“ Was ihn am meisten beeindrucke, sei die Tatsache, dass an einem einzigen Punkt eine derart breite Palette an Leistungen angeboten wird: „Wenn es um die Grundversorgung geht, finden die Bürger hier so gut wie alles.“ Aus Bormio waren der Vizebürgermeister Giuseppe Rainolter und die Ärztin Claudia Biondi gekommen.
Gesundheits-Check-ups
Gesund sein und gesund bleiben. Unter diesem Motto bietet das Gesundheitszentrum ab sofort Gesundheits-Check-ups an. Es handelt sich um eine vorsorgliche Untersuchung zur Früherkennung von Risiken und Krankheiten. Die Chek-ups beinhalten eine umfassende körperliche Untersuchung, Laboranalysen und EKG sowie die Einschätzung des individuellen Risikoprofils. Neben dem allgemeinen Check werden auch zusätzliche Untersuchungen angeboten. Großer Wert wird im Spital auch auf die Flexibilität des Personals gelegt. Dadurch lassen sich nebenbei auch Kosten sparen. Und auch an Einfallsreichtum fehlt es nicht. Wenn zum Beispiel die Wäscherei nicht voll ausge-
lastet ist, wird gegen Bezahlung die Wäsche von Hotels gewaschen.
Mit einer Spende fing alles an
Nicht uninteressant ist die Geschichte des Spitals in Sta. Maria. Man schrieb das Jahr 1919, als die Frauen von Sta. Maria 300 Franken für den Bau eines Spitals stifteten. Weitere Spenden folgten. Bis 1936 kamen 15.000 Franken zusammen, sodass gebaut werden konnte. Als Standort einigte man sich nach längeren Diskussionen auf Sielva bei Sta. Maria. Die Talgemeinden setzten eine Kommission ein, die den Bau vorantrieb. 1934 fand die Einweihung des Spitals statt. 1963 begann man, mit dem Kanton über eine Erweiterung zu verhandeln. Die Gespräche aber scheiterten vorerst an den von den Gemeinden zu leistenden Investitionsanteilen. Und wieder brachten die Frauen den Durchbruch. Sie organisierten 1970 einen Bazar und nahmen 130.000 Franken ein. Diesem Erfolg schlossen sich viele Gönner mit Beträgen in Millionenhöhe an. 2005 wurde der Bau aus den 1970er Jahren saniert bzw. erweitert. Es waren wieder große Anstrengungen notwendig, um das Geld aufzubringen. Weil die Investitionsbeiträge des Kantons und der finanzschwachen Gemeinden nicht ausreichten, waren wieder viele Gönner gefragt. Derzeit kann sich im Val Müstair, das zwischen dem Ofenpass und der Staatsgrenze „eingekesselt“ ist, niemand vorstellen, ohne das „Center da sandà“ auszukommen.
sepp

Josef Laner