„Müssen alle in gleiche Richtung rudern“
Publiziert in 4 / 2009 - Erschienen am 4. Februar 2009
Schlanders – Obwohl es teils arge Probleme und Schwierigkeiten gibt, speziell in der Berglandwirtschaft, sollen die Bauern den Kopf nicht hängen lassen, sondern sich den neuen Herausforderungen stellen und positiv in die Zukunft blicken. Das war die zentrale Botschaft, mit der Landesrat Hans Berger am 30. Jänner auf der sehr gut besuchten Bezirkstagung des Bauernbundes im Kulturhaus in Schlanders aufwartete. Er rief nicht nur zum internen Zusammenhalt auf, sondern auch auf ein verstärktes Zusammenspiel zwischen Landwirtschaft und Tourismus. Berger ist jetzt als Landesrat bekanntlich für beide Bereiche zuständig. An welchen Stellen den Vinschger Obst- und Bergbauern der Schuh am meisten drückt, zeigte sich bei der Diskussion.
Rückblick auf 2008
Rückblickend auf 2008 hielt Bezirksobmann Andreas Tappeiner fest, „dass wir nach mehreren Trockenjahren endlich wieder ein Jahr mit angemessenen Niederschlägen hatten.“ Der Milchpreis sei allerdings stark unter Druck geraten, „die Tankmilch musste um rund 20 Cent verkauft werden.“ Den Spezialkulturen habe der regnerische Sommer etwas zugesetzt. Als unverzichtbare und noch ausbaufähige Nischen im Zu- und Nebenerwerb nannte der Bezirksobmann die Direktvermarktung, die Produktveredelung und den Urlaub auf dem Bauernhof. Der Obstbau sei dank der guten Strukturen der Genossenschaften und des gemeinsamen Vermarktungskonzeptes „VI.P 3“ gut aufgestellt: „Der Obstbau ist ein starkes Standbein, die Qualität und Menge des Erntejahres 2008 waren hervorragend, die Vermarktung aber dürfte heuer etwas schwieriger werden, nicht zuletzt auch aufgrund der allgemeinen Wirtschaftskrise.“ Der Alpsommer sei gut verlaufen, die Qualität der Produkte sei weiterhin hoch. Mit Fleiß und Hingabe gearbeitet hätten auch die Weinbauern.
Als unverzichtbar, gerade für den Vinschgau, nannte Andreas Tappeiner die Sicherstellung einer ausreichenden Wasserversorgung: „Wir fordern nach wie vor mit Nachdruck, dass der Vinschgau im Gewässernutzungsplan als Sondergebiet ausgewiesen wird.“ Auch Möglichkeiten einer kleinräumigen Nutzung der Wasserkraft im Zusammenspiel mit der Energieversorgung seien auszuloten, „ich denke an die Versorgung von einzelnen Höfen und auch Weilern.“
Forderungen und Wünsche
In einigen Punkten sei der Handlungsspielraum der Bauern eingeschränkt. So seien die Gewässerschutz-Vorschriften teilweise zu restriktiv. Auch beim Landschaftsschutz seien Hausverstand und Augenmaß angebracht. Die so genannten Bagatelleingriffe seien neu zu regeln. Die Bürokratie sei abzubauen, „vielleicht ist es gut, dass man hier mit dem ‚Abbau’ von Bürokraten beginnt.“ Klar waren auch Tappeiners Forderungen bezüglich des Nationalparkplans und der Durchführungsbestimmungen: „Es geht nicht an, dass der Parkrat hier als alleiniges Organ das Sagen hat. Der Führungsausschuss, die Landwirtschaft und auch die Gemeinden müssen mitreden können.“ Geschieht das nicht, fühlen sich immer mehr Bauern als „Landschaftspfleger in einem Gehege.“ Die Fortsetzung der Wildentnahme im Park sei positiv, „bei der Vergütung der Schäden aber hapert es gewaltig, sodass zum Beispiel in Martell die Akzeptanz des Nationalparks bei den Bauern derzeit auf den Nullpunkt gesunken ist.“ Auch außerhalb des Parks liege der Rotwildbestand derzeit noch weit über dem Soll. Große Bedeutung komme den landwirtschaftlichen Fachschulen im Vinschgau zu, die derzeit vakante Direktorenstelle sollte spätestens bis zum Beginn des neuen Schuljahres besetzt werden. „Nicht allein lassen dürfen wir die Bergbauern“, sagte der Bezirksobmann. Die stärkere Förderung der Berglandwirtschaft müsse ein Anliegen der gesamten Südtiroler Bevölkerung sein. Die Direktzahlungen seien ebenso anzuheben wie die Beiträge für Investitionen. Die nötigen Geldmittel sollten teilweise durch Umschichtungen frei gemacht werden, „der Großteil aber muss aus dem Landeshauhalt kommen.“ Um die Berglandwirtschaft zu stützen, sei die Solidarität aller gefordert.
Mut für Neues
„Wir müssen uns im Kopf frei machen, wir müssen Neues zulassen, den Horizont erweitern und anpacken.“ Dies empfahl Tappeiner den Bauern für die Zukunft. Besonders der Vinschgau habe hierfür beste Voraussetzungen. Dass Resignation in Zeiten wie den jetzigen das schlechteste aller Rezepte sei, sagte auch Landesrat Hans Berger. Nicht nur intern müsse die Landwirtschaft zusammenhalten, sondern auch mit dem Tourismus seien Synergien zu suchen: „Wir sitzen im gleichen Boot und müssen daher auch alle in die gleiche Richtung rudern, wir müssen viel mehr das ‚wir’ in den Vordergrund stellen.“ Das beste Konjunkturpaket für Südtirol sieht Berger im Zusammenspiel möglichst vieler Wirtschaftssparten, vor allem zwischen Landwirtschaft und Tourismus, aber auch mit dem Handel. „Wir müssen auf kleine Kreisläufe setzen und darauf achten, dass die Wertschöpfung im Land bleibt und dass heimische Produkte möglichst hier verkauft werden.“ Sofort Früchte trage werde die Zusammenarbeit allerdings nicht, „es braucht eine Anlaufzeit, die richtige Einstellung und die Arbeit vor Ort, besonders auch auf Gemeindeebene.“ Tourismus-Organisationen dürften nicht Bettelvereine bleiben. Keine Alternativen zum Milchverkauf ortet Berger bei den Vollerwerbsbauern in der Viehwirtschaft. Was die künftige Entwicklung des Milchpreises betrifft, so sei er zuversichtlich. Als größte Herausforderung der nächsten Jahre nannte Berger die Stütze der Berglandwirtschaft. Für Investitionen an und in Wirtschaftsgebäuden stellte er eine Erhöhung der Beiträge in Aussicht. Auch für zusätzliche Geldmittel aus dem Landeshaushalt kämpfe er. Aber auch Rom und Brüssel seien „Fronten“, an denen derzeit gekämpft werde: „Vor allem in Brüssel dürfen wir nichts dem Zufall überlassen, denn die europäische Agrarpolitik für die Zeit nach 2013 wird jetzt geschrieben.“
Entschieden gegen eine „Zweiklassengesellschaft“ innerhalb der Landwirtschaft, sprich zwischen Obst- und Bergbauern, sprachen sich nicht nur Hans Berger und Andreas Tappeiner aus, sondern auch der scheidende Landesobmann Georg Mayr: „Um die Berglandwirtschaft zu stützen, ist die gesamte Südtiroler Bevölkerung gefordert.“ Schade findet es Mayr, „dass es den Medien keine Schlagzeile wert ist, wenn ein Bauer seine Stalltür für immer zunagelt.“ Dass Landesrat Berger jetzt zusätzlich zur Landwirtschaft auch den Tourismus übernommen hat, stimme ihn zuversichtlich. Georg Mayr: „Über diese Zusammenarbeit wurde und wird viel geredet, in der Praxis aber ist hier noch sehr viel zu tun.“
Viele Chancen
Über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Vinschger Landwirtschaft sprach Stefan Perini vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Die Südtiroler Wirtschaft insgesamt habe den Vorteil, auf mehreren Füßen zu stehen, einer davon ist die Landwirtschaft. Liegt der Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft landesweit bei rund 10 Prozent, so sind es im Vinschgau 17 Prozent. Relativ stark ist im Vinschgau auch die Zahl der Vollerwerbsbauern. Besonders stark ausgeprägt ist weiters die Handelsstruktur, sprich die Zahl der Lebensmittelgeschäfte.
Aus diesen und weitere Daten leitete Perini eine Reihe von Möglichkeiten und Chancen für die Vinschger Landwirtschaft ab: Zusammenarbeit mit dem Einzelhandel, Stärkung der Direktvermarktung, der Produktveredelung sowie des Urlaubs auf dem Bauerhof, Biotrend, Einbindung Radweg und Bahn, gemeinsamer Einkauf von Produktionsmitteln im Obstbau und Futtermitteln in der Berglandwirtschaft, Entwicklung vom „Landwirt“ zum „Energiewirt“, weitere Fusionen im Obstbau und viele anderen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Das interessante Referat von Perini ist übrigens im Bauernbundbezirksbüro in Schlanders erhältlich.
Wo brennt es am meisten?
Bei der Diskussion wurde eine ganze Reihe von Problemen angeschnitten. Josef Maschler zum Beispiel, der Bauernbundobmann von Martell, klagte, dass Vergütungen für Schäden durch Rotwild vor zehn Jahren in etwa zehn Mal höher waren als heute, „wobei der Wildbestand aber trotz Entnahme gleich geblieben ist.“ Die Marteller Bauern fordern eine angemessene und gerechte Entschädigung, „derzeit ist unsere Akzeptanz dem Nationalpark gegenüber auf dem Gefrierpunkt.“
Alexander Tschenett aus Schluderns sagte, dass der Obstbau im Obervinschgau immer weiter vorstoße, dass zu viele „Ziggl“ geschlagen werden und die Viehwirtschaft zusehends zurückgedrängt werde. Zu diesen und weiteren Wortmeldungen hielten Landesrat Berger und Bezirksobmann Tappeiner fest, dass sich im Obervinschgau dank des Klimawandels neue Chancen für den Obstbau und auch für Bereich der Spezialkulturen eröffnen. Dies sei durchaus nicht als negativ zu bewerten, ganz im Gegenteil. Tappeiner: „Es ist besser, dass diese Entwicklung schnell kommt. Nur sagen ‚das darf man nicht’ geht nicht.“ Auch laut Berger „darf man diese Entwicklung nicht gewollt aufhalten, denn sie kommt den Bauern vor Ort zugute.“
Klaren Wein schenkte auch VI.P-Obmann Karl Dietl ein: „Wir müssen vom Klischee, dass die ‚bösen’ Obstbauern im Obervinschgau die Gründe aufkaufen, wegkommen.“ Bei einem Kaufgeschäft brauche es immer zwei: einer kauft und einer verkauft. „Wir dürfen nicht gegeneinander losgehen.“ Der Obervinschgau biete im Bereich des Obstbaus und der Sonderkulturen neue Entwicklungsmöglichkeiten zum Wohle der Landwirtschaft. „Wir als VI.P bieten gerne unser Mitarbeit und Mithilfe an.“ Anstatt mit dem Finger auf andere Personen zu zeigen, wäre es für manche angebrachter, „sich an der eigenen Nase zu fassen.“
Mehrfach angedeutet wurde, dass die Kuhalmen zwar gut auf Vordermann gebracht wurden, ihre Zukunft aber nicht so rosig sei. Auf die Auszahlung der Alpungsprämien müsse teilweise jahrelang zugewartet werden.
Gestärkt werden soll weiters der Absatz heimischer landwirtschaftlicher Produkte in der Gastronomie, im Handel und auch in öffentlichen Institutionen wie etwa in Krankenhäusern. Landesrat Richard Theiner sagte hierzu, dass zum Beispiel im Gesundheitsbezirk Meran die Frischmilch zu 100 Prozent aus heimischen Milchhöfen stamme und andere Milchprodukte zu 80 Prozent, „wobei wir aber alles daran setzen, auch hier auf 100 Prozent zu kommen. Ganz so leicht ist das allerdings nicht, weil heimische Milchhöfe bestimmte Produkte gar nicht liefern bzw. auswärtige Anbieter aus Image-Gründen nicht zurückstehen wollen und daher sogar bereit sind, die Produkte unter dem Selbstkostenpreis anzubieten.“
„Luis Hellrigl
ist unser Kandidat“
Als Kandidat des Bezirkes Vinschgau für das Amt des Bergbauern-Vertreters im Landesbauernrat stellte Andreas Tappeiner Luis Hellrigl aus Taufers im Münstertal vor. Hellrigl, seines Zeichens auch Obmannes des Südtiroler Braunviehzuchtverbandes, tritt bei den Neuwahlen am 13. Februar gegen zwei Kandidaten aus anderen Bezirken an. „Ich stehe voll hinter Hellrigl“, sagte Tappeiner; die Diskussionen bzw. Meinungsverschiedenheiten, die es im Vorfeld gegeben hat, seien ausgeräumt. Einen besonderen Dank sprach er dem scheidenden Bergbauern-Vertreter Sepp Ruepp aus Schluderns aus. Als eines seiner wichtigsten Ziele nannte Hellrigl: „Unsere heimischen Produkte müssen verstärkt hier im Land verkauft werden.“ Die Bürokratie sei abzubauen, und zwar nicht nur jene, die mit Brüssel und Rom zusammenhängt, sondern auch die Bürokratie in Südtirol. Das derzeit größte Problem in der Viehwirtschaft sei der mangelnde Zusammenhalt untereinander.
Was die Wahl des neuen Landesobmannes betrifft, so unterstützt der Vinschgau laut Tappeiner den Kandidaten Leo Tiefenthaler.
Berger soll bleiben
Keine Reaktion von Hans Berger gab es, als ihn der Bezirksobmann aufrief, nicht für Brüssel zu kandidieren, „denn wir brauchen dich hier in Südtirol.“ Nach Einschätzung fast aller Vinschger sei es für Berger fast eine Verpflichtung, „in Südtirol zu bleiben“.
Josef Laner