Vor 20 Jahren: Ötzi und die doppelte Staatsbürgerschaft
Vom Schreiber des Berichtes am 18. August 1992 aufgenommen: Eben hat man Ötzis Fellmütze gefunden und der 2005 verstorbene Archäologe Konrad Spindler (sitzend links) gibt dazu ein Interview. An den Grabungen beteiligt war zu dem Zeitpunkt die Archäologin Sylvia Renhart, Gestalterin des ArcheoParc. Der heutige Bezirksrichter Alex Tarneller leistete damals Dienst als „Guardia demaniale“ und bewachte die Fundstelle.

Nach 20 Jahren kommt der Ur-Europäer wieder in die Schlagzeilen

Publiziert in 24 / 2011 - Erschienen am 22. Juni 2011
Ötzi war ein Welt-Kulturereignis. Ötzi war eine archäologische Sensation, die sich am 19. September 2011 zum 20. Mal jährt. Ötzi gab den Tälern diesseits und jenseits der Ötztaler Alpen Selbstbewusstsein. Ötzi war der wissenschaftlich erbrachte Beweis, dass man in den Alpen gefütterte Schuhe trug, während die Ägypter barfuß gingen. Ötzi wurde vor 20 Jahren schon die doppelte Staatsbürgerschaft angeboten. Ötzi ist der am gründlichsten erforschte Europäer und hat vor 5.300 Jahren gelebt. 20 Jahre nach seiner Entdeckung werden in zwei unterschiedlichen Staaten drei ähnliche Nachbarn - das Schnals-, Ötz- und Passeiertal - zu ­einem kulturellen Rundumschlag mit Wanderungen, Gletschertouren, Kamingesprächen, Kulinarien und Jubiläumsfeiern ausholen. von Günther Schöpf Nur sieben Tage nach seiner Entdeckung und der robusten Befreiung aus dem Eis mittels Skistock, Bergpickel und Hau-Ruck-Verfahren bekam „der Mann aus dem Eis“ schon seinen heutigen Spitz- oder Kose­namen ab. Karl Wendl hieß der Taufpate. Der Wiener Journalist erfand den „Ötzi“. Staatsrechtlich hätte er aber „Schnalsi“ heißen müssen. Hochoffizielle Messungen hatten zutage gebracht: die Fundstelle liegt um 92 m im Schnalstal. Topografisch richtiger, aber verwirrend wäre gewesen, hätte man ihn „Labi“ nach dem nahen Hauslabjoch oder „Niedi“ nach dem Niederjoch-Ferner gerufen. Wenn schon, wäre „Tisi“ am genauesten gewesen. Am Tisenjoch, am Übergang ins Tisental nach Vernagt, hat die Mumie aus der Schmelzwasserlacke geragt. Deutsche Zeitungen haben sie „Alpen-Adam“ genannt oder „Ur-Tiroler“. Die „Bild“ schloss aus der Lederbekleidung auf einen „Alpen-Rocker“, dem nur die „Harley Davidson“ gefehlt habe. Die Amerikaner nannten den Fund ein wenig preußisch „Frozen Fritz“, gefrorener Fritz. Es waren 500 verschiedene Namen im Umlauf. Nicht ganz so hoch scheint die Zahl der bösen „Ösi-Ötzi-Witze“ zu sein. Ötzis Entdeckung wurde als Weltsensation beschrieben, karikiert und vermarktet und hat – was wohl einmalig sein dürfte – über Wochen einen richtigen Krieg, den auf dem Balkan, aus den Schlagzeilen verdrängt. Wer konnte ahnen, dass die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft ausgerechnet an einer Leiche begonnen hat? Ein archäologischer Witz Während österreichische Medien täglich nüchtern über die Gletscherleiche berichteten und über deren Geschlecht spekulierten, wurde Südtirol und Italien durch Reinhold Messner und seine Telefonate an den „Alto Adige“ mit großer Aufmachung und mit viel Pathos informiert. Der Fund wurde zum Waffengänger Herzogs „Friedrich mit der leeren Tasche“, dann zu einem 500 Jahre alten „Guerriero“ erklärt. Hämisch wurde der „Kampf um die Knochen“ zwischen Österreich und Italien von der nationalen Presse kommentiert. Wenn es um den Ötzi gehe, sehen sich die Südtiroler als Italiener, schrieb sinngemäß der „Corriere della Sera“ vom 1. Oktober 1991. Die Häme der Italiener, die Pannen bei der ­Bergung, die widersprüchlichen Augen­zeugen­berichte und die ­abenteuerlichsten Interpretationen ließen die Gerüchte ins Kraut schießen und leiteten einen Gletscher-Krimi ein mit diplomatischen Verstimmungen. Zehen Jahre später wird man in Ötzis Körper eine Pfeilspitze aus Feuerstein entdecken. Die ganze Welt hörte plötzlich vom „ersten, bekannten ­Kriminalfall der Geschichte“. Den ersten „Krimi“ hatte der Münchner Publizist ­Michael Heim schon 1993 angestoßen, als er über „die Ötztalfälschung“ schrieb: „Dass ein völlig enthaarter, kastrierter Steinzeitmensch mit einem völlig intakten Fellschuh auf Wanderschaft geht, ehe er föhngetrocknet eingeschneit wird – das ist und bleibt ein archäologischer Witz ohne Beispiel.“ Wie wir wissen, haben die Wissenschaftler nicht nur Witziges gefunden; sie haben einfach weitergeforscht. Die mumifizierte Leiche ist eine archäologische Sensation geblieben. Es hat kühne Thesen über seine Herkunft und es hat Ansprüche von allen Seiten gegeben. So erklärten Slowenische Autoren ihn zu ihrem Vorfahr, weil er ein Angehöriger des Stammes der Veneter sei. Die allerneuesten Erkenntnisse über Ötzis Herkunft wurden Ende September 2010 von Klaus Öggl, Botaniker an der Universität Innsbruck, mitgeteilt: „Ötzi hat seine Kindheit in der Umgebung von Brixen verbracht und lebte als Erwachsener im Unteren Vinschgau.“ Zurück in die Schlagzeilen Nun wollen Ötztaler, Schnalser, Psairer ­„ihren Ötzi“ wieder in die Schlagzeilen zurück bringen. Nach 20 Jahren soll der „Mann, der aus dem Gletscher kam“ in seiner Bedeutung nicht nur für die Wissenschaft gewürdigt werden. Das Aktiv-Museum ­ArcheoParc in Unser Frau, der Tourismusverein Schnals im Meraner Land, der Ötztal Tourismus in Sölden, der Tourismusverein Passeiertal, die Timmelsjoch Hochalpenstraße AG und der Kulturverein Pro Vita ­Alpina Österreich haben sich aufgemacht, „die ­Ötzi-Fundstelle noch stärker zu kommunizieren und Gäste und Einheimische für den Lebensraum des Ötzi zu begeistern“. So zu lesen in einer Aussendung vom 8. Juni. An dem Tag kam es im ArcheoParc zu einem Gipfeltreffen der Nord- und Südtiroler Jubiläums-Macher. Das Schnalstal hatte ausschließlich „heimische Kräfte“ mobilisiert. Mit Bürgermeister Karl Josef Rainer, Museums-Präsident Alexander Rainer, seiner Direktorin Johanna Niederkofler, mit Tourismusdirektor Manfred Waldner, mit HGV-Obmann Paul Grüner und mit dem Kulturvereinspräsidenten Benjamin Santer will die Kommunikationskoordinatorin Monika Gamper sämtliche Fäden ziehen und möglichst alle Kanäle bedienen, um die 20. Wiedergeburt des berühmtesten Südtirolers gebührend zu begehen und touristisch zu nutzen. Mit ­ihnen im Kommunikations-Boot sitzen aus dem Ötztal die Marketingfachfrau Carmen Fender, der Medien Manager bei Ötztal Tourismus, Leopold Holzknecht, der Pro Vita Alpina-Vertreter Gerhard Prantl, und der Direktor im Ötzi-Dorf Umhausen, Leonhard Falkner. Zum ersten Treffen mit Vorstellung der Initiativen waren auch der Chef der Bergführer Schnals-Passeier, Robert Ciatti, Angelika Fleckinger, Buchautorin und Ötzi-Bewahrerin im Archäologie-Museum, Andreas Tschurtschentaler, Südtiroler Marketing Gesellschaft, Thomas Aichner und Barbara Schnitzer, Meraner Marketing Gesellschaft, in den ArcheoParc gekommen. Beim Pressefrühstück mit Steinzeit-Brötchen und Neuzeit-Cappuccino stellte ­Johanna Niederkofler die Neuauflage der Archäologie-Wanderkarte vor, einen „Ratespaß“ für Kinder, zusammengestellt von Heidi Rottensteiner, und eine Geschichtensammlung aus Ötzis Lebensraum von ­Hansi Platzgummer mit Bildern von Sigfried ­Gurschler und Gianni Bodini. Alle drei waren im ArcheoParc ­anwesend. Programm Jubiläumsausstellung im ArcheoParc: Steinzeitjagd und Bogensport – Von Ötzi bis ­Robin Hood, 3. Juli bis 6. November Auf Ötzis Spuren, Familienwanderungen ins Tisental mit Übernachtung auf der Similaunhütte, 15./16. Juli, 26./27. August, 10./11. September. Popkonzert der Musikapelle Unser Frau/Karthaus auf dem Vernagter See mit Jubiläumsfanfare „Der Ruf vom Similaun“, 5. August Der Jubiläumsgipfel mit Hüttenabend, Übernachtung auf der Similaunhütte, Freudenfeuer des AVS am 18. September Jubiläumsfest an der Fundstelle mit Ötzi-Finderin, Ötzi-Taufpaten und Ötzi-Hubschrauberpiloten, am 19. September 10 Jahre ArcheoParc: Tagung in Englisch für Wiederholungsbesucher von Freilichtmuseen, 20. bis 23. September. Kontakt: Tel. 0473 67 60 20, eMail info@archeoparc.it
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.