Neue Marschrichtung für den Fremdenverkehr
Publiziert in 4 / 2011 - Erschienen am 2. Februar 2011
Schlanders – Leicht wird es nicht, aber es kann gelingen...und es muss gelingen: Diese Aufbruchstimmung war am vergangenen Freitag unter den Vinschger Touristikern und Gemeindepolitikern zu spüren. Sie waren darüber informiert worden, wie die im Vinschgau schlummernden Potentiale im Tourismus besser genutzt werden können, und zwar nicht nur zum Wohl des Fremdenverkehrs, sondern der gesamten Wirtschaft im Tal.
von Sepp Laner
Im Sommer 2010 hatte es in punkto Tourismusverband und Tourismusvereine teils heftige Diskussionen und Auseinandersetzungen gegeben. „Wenn wir uns entschlossen haben, eine Arbeitsgruppe einzusetzen und ein Konzept mit neuen Perspektiven zu erstellen, so ganz sicher nicht deshalb, um die Autonomie des Vinschgaus in Frage zu stellen, sondern um nach Wegen zu suchen, die Tourenzahl des Tourismus-Motors zu steigern“, sagte Landesrat Hans Berger. Der Vinschgau verfüge einerseits über riesige Potentiale, „bildet andererseits aber im landesweiten Vergleich nicht selten das Schlusslicht, etwa bei der Zahl der Auslastungstage. Auch die touristische Wertschöpfung müsste viel größer sein.“ Eine klare Absage erteilte der Landesrat jeglichem Abschottungs-Denken seitens von Tourismusorganisationen: „Solche Denkweisen sind Vergangenheit.“ Bewusst nicht weiter auf die Diskussionen der Vergangenheit eingehen wollte auch Tourismusverbandspräsident Karl Pfitscher: „Die Einsetzung der Arbeitsgruppe war der richtige Weg. Er war richtig und wichtig, die Bürgermeister mit an den Tisch zu holen, denn was zählt ist das Miteinader aller Wirtschaftszweige und auch der Sozialpartner.“
„Der Vinschger Weg“
„Der Vinschger Weg – Potentiale zur Weiterentwicklung des Tourismus im Vinschgau“ nennt sich das Analyse- und Konzept-Papier, das von einer 5-köpfigen Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Malser Bürgermeisters Ulrich Veith erarbeitet wurde. Mitgearbeitet haben auch Irmgard Prader (Direktorin der Abteilung Tourismus), Karl Gapp (Vorstandsmitglied des Tourismusverbandes), Matthias Tschenett (Hotelier und Vertreter des HGV) sowie Stephan Gander (Marketingexperte). Um über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und sich positive Erfahrungswerte von außen zu holen, wurden auch Fachleute mit ins Boot geholt: Urs Wohler (Tourismusdirektor Engadin), Manfred Canins (Direktor des Tourismusverband Alta Badia), Peter Righi, Direktor des Tourismusverbandes Eisacktal) und Thomas Aichner (Direktor der Marketinggesellschaft Meran, kurz MGM).
Schlusslicht bei der Auslastung
Wo der Tourismus im Vinschgau derzeit steht, zeigte Stephan Gander auf. Die jährlich rund 1,750 Millionen Nächtigungen im Vinschgau machen im landesweiten Vergleich nur 6 Prozent aus. Zum Vergleich: Im Meraner Land sind es 23 Prozent. Seit 2007 ist die Gesamtzahl der Nächtigungen im Vinschgau konstant. Rückgänge sind bei den Gästen aus Deutschland und Italien zu verzeichnen, Zuwächse bei Gästen aus der Schweiz und den Benelux-Ländern. Mit durchschnittlich nur 104 Auslastungstagen im Jahr - trotz zweier Saisonen - bildet der Vinschgau im landesweiten Vergleich das Schlusslicht. An erster Stelle steht hier die Region Meran (145 Tage), gefolgt vom Kronplatz und der Seiser Alm (je 139) und Gröden (133). Bedenklich sind vor allem die Rückgänge ab September.
Im Jahresdurchschnitt lassen Feriengäste in Südtirol pro Urlaubstag 119 Euro (Unterkunft, Einkaufen, Gastronomie, Sport, Kultur, Mobilität) „liegen“. Landesweit ergibt das eine Wertschöpfung von 3,35 Milliarden Euro. Im Vinschgau sind es 215 Millionen Euro.
„Von der Tourismusintensität her sind wir ein Gebiet mittleren Grades“, sagte Gander. Er gab auch zu bedenken, dass das Preisniveau der Betriebe im Vinschgau deutlich unter dem Südtiroler Durchschnitt liegt.
„Die Kombination aus niedriger Auslastung und tiefen Durchschnittspreisen ist die Hauptursache für die schlechte wirtschaftliche Lage der Betriebe. Alle Anstrengungen müssen dahin gehend konzentriert sein, diese Werte zu steigern“, heißt es im Konzept. Einig sind sich alle, dass im Vinschgau noch sehr viel Potential brach liegt und dass es viele mögliche „Erfolgsfakturen“ besser zu nutzen gilt: die Vielfalt und Einzigartigkeit der Landschaft und der Natur (Beispiele: Nationalpark Stilfserjoch, Ortlermassiv, Waalwege, Seen im Oberland), die Kultur (Kulturgeschichte, Kulturszene, Marktkultur, Kleinkunstszene, Künstler), die Architektur (historische und neue Architektur, romanische Bauwerke, Kloster Marienberg, Schlösser und Burgen, die Stadt Glurns), die Landwirtschaft (Vielfalt der erzeugten Produkte und ihre herausragende Qualität) und die Gastlichkeit.
„Die intensive Verflechtung zwischen Tourismus, Landwirtschaft, Handwerk und Handel ist die Grundlage der Wirtschaftskraft im Vinschgau,“ gab sich Ulrich Veith überzeugt. In Kombination mit der besonderen geografischen Lage im Dreiländereck, einer pulsierender Kultur und eine markanten Naturlandschaft bestehe im Vinschgau eine einzigartige Lebensqualität für die Bewohner und die Gäste.
Als Ziel für den Tourismus im Vinschgau nannte Veith eine nachhaltige Steigerung der Auslastung und der Wertschöpfung in allen Betriebskategorien durch das konsequente Streben nach Qualität und Einzigartigkeit auf allen Angebotsebenen. Weiters sei der Standort durch Investitionen zu sichern. Wachstum ermögliche Erneuerung. Weiters biete ein starker Tourismussektor attraktive Arbeitsplätze „und trägt so dazu bei, dass qualifizierte Vinschger ihr Wissen zur Weiterentwicklung des Tals einsetzen können.“
Ins Auge zu fassen seien weiters eine intensive Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Landwirtschaft, eine kulturelle Weiterentwicklung und ein Ausbau der öffentlichen Mobilität.
„Tourismus ist ein Mannschaftssport“
„Langfristig gesehen gewinnt nur die Qualität“, gab sich Veith überzeugt, „und die Zeiten, in denen jeder sein eigenes Süppchen kocht, müssen endgültig Vergangenheit werden.“ Wenn es gelingt, den Tourismus auf professionelle Beine zu stellen, „werden alle profitieren, der Tourismus ebenso wie die Landwirtschaft, der Handel und das Handwerk.“ Auch Thomas Aichner brach eine Lanze für die Qualität: „Über die Preisschiene ließe sich die Auslastungszahl zwar steigern, aber das wäre der falsche Weg.“ Der Grundsatzgedanke, wonach der Tourismus ein „Mannschaftssport“ sei, habe sich in der Marketinggesellschaft Meran mit Erfolg durchgesetzt.
Tourismusverband ade
Mit viel Spannung wurde in der Aula Magna der HOB auf die Vorschläge der konkreten Umsetzung der Visionen gewartet. Als oberstes Ziel der Neustrukturierung nannte Ulrich Veith die Gründung eines Kompetenzzentrums für den Tourismus, an dem sich alle touristischen Institutionen im Tal ausrichten sollen. Dieses Kompetenzzentrum soll laut dem Vorschlag der Arbeitsgruppe in Glurns angesiedelt werden und dem Tourismus im Vinschgau die Chance eröffnen, seine Position als zentraler Wirtschaftsfaktor im Tal zu festigen und auszubauen.
Die neue Tourismusorganisation soll den bisherigen Tourismusverband, der aufgelöst werden soll, ersetzen. Als Rechtsform wird eine Konsortialgesellschaft mit beschränkter Haftung ins Auge gefasst. Gesellschafter sind in der ersten Phase die 7 Tourismusvereine der Ferienregion Vinschgau. Was die Form der Beteiligung betrifft, so sollen die Quoten der Gesellschafter nach touristischer und wirtschaftlicher Relevanz der Tourismusvereine verteilt werden. Ein Schlüssel dafür ist noch zu entwickeln. Weiters soll ein 5- köpfiger Verwaltungsbeirat (ohne Stimmrecht) eingesetzt werden: je ein Vertreter der Bezirksgemeinschaft Vinschgau, des HGV, des hds und des Bauernbundes sowie ein Wirtschaftsprüfer. Das Organigramm sieht eine/n Geschäftsführer/in sowie drei Mitarbeiter vor.
Was die „Vinschgau Incoming“ betrifft, so soll diese als eigenständige Gesellschaft und unabhängig vom Verband weitergeführt werden. Die Außenstände des Tourismusverbandes sollen von der neuen Gesellschaft übernommen werden. Die derzeitigen Mitarbeiter im Verband können sich für die neue Gesellschaft bewerben „oder es wird für sie eine adäquate neue Anstellung gesucht.“
„Jeder, der im neuen Verwaltungsrat vertreten sein wird, darf nicht die Interessen seiner Herkunftsgemeinde oder seines Tourismusvereins im Auge haben, sondern ausschließlich den Vinschgau, denn es geht um den Vinschgau als einheitliche Region, um den Vinschgau als Marke“, mahnte Veith. Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter seien zwar an ihre Quote gekoppelt, „doch auf der Ebene des Verkaufs entscheidet nicht die Quote, sondern die Qualität der Produkte.“ Marketingmaßnahmen sollen in Zukunft verstärkt und gezielt gesetzt werden, „und zwar von der neuen Organisation.“ Doppelgleisigkeiten, wie es sie bisher teilweise gab, sollen in Zukunft vermieden werden.
Wie sieht die Finanzierung aus?
Im Budget der neuen Tourismusorganisation wird für den Bereich Marketing eine stolze Summe vorgeschlagen: 604.000 Euro. Das ist ca. das Doppelte wie bisher. Aufgebracht werden soll diese Summe einerseits mit einer Erhöhung der Mitgliedsbeiträge im Ausmaß bis zu 50 Prozent (die angepeilte Höhe der Gesellschafterbeiträge liegt bei 400.000 Euro) und andererseits mit Steuergeld. So macht Landesrat Hans Berger im ersten Jahr 250.000 Euro locker und im 2. und 3. Jahr degressiv (also weniger) weitere Beiträge. Zur Mehrbelastung, die auf die Betriebe zukommt, hielt Veith fest, „dass künftig nicht mehr aufgrund der Bettenzahl, sondern der Zahl der Nächtigungen gezahlt werden soll.“ Die Mitgliedsbeiträge der Tourismusvereine werden somit neu berechnet, wobei alle 7 Tourismusvereine auf das vom Landesverband der Tourismusorganisationen (LTS) erarbeitete System nach Nächtigungen setzen sollen. Die Einstufung der Gemeinden in touristische Ortsklassen werde berücksichtigt.
Das hohe Marketingbudget nannte Veith den Treibstoff für den Tourismus-Motor: „Dank dieser Summe dürfte sich die Spirale, die derzeit alles nach unten zieht, langsam wieder nach oben richten.“
Öffnung zu Meran
Geplant ist auch eine engere Zusammenarbeit zwischen der Ferienregion Vinschgau und dem Meraner Land. So soll zu den Sitzungen der Verwaltungsräte jeweils ein Verwaltungsratsmitglied des Nachbarbezirks eingeladen werden. Thomas Aichner: „Wir müssem voneinander und miteinander lernen. Wir in Meran zum Beispiel sind froh, wenn wir unseren Gästen einen schönen Vinschgau-Tag empfehlen können.“ Auch Synergien im operativen Bereich sollen ausgelotet werden: Pressearbeit, Mediaplanung, Internet und Gästekarten.
Eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit der SMG (Südtirol Marketing Gesellschaft) fordert die Arbeitsgruppe ebenfalls ein. Bisher sei der Vinschgau diesbezüglich etwas „vernachlässigt“ worden. Gedacht wird unter anderem an eine Profilierung des Vinschgaus im Rahmen der Dachmarke Südtirol.
Was sind die nächsten Schritte?
Gelingen kann „Der Vinschger Weg“ nur, wenn der gemeinsame Wille gegeben ist, sprich die Bereitschaft aller Tourismusvereine, eine Entscheidung zu treffen und diese konsequent umzusetzen. „Was wir heute hier vorgestellt haben, sind vorerst nur Vorschläge“, sagte Ulrich Veith. Nun werde die Arbeitsgruppe die Vorschläge allen Tourismusvereinen sowie den Vertretern des HGV, der Landwirtschaft, der Kultur, des Handels und des Handwerks vorstellen. Aufgrund der Ergebnisse dieses Dialogs wird der Tourismusverband über die Umsetzung entscheiden und den Zeitplan festlegen. Die Arbeitsgruppe empfiehlt, dass die neue Organisation bereits Mitte des heurigen Jahres operativ werden soll. Ein hehres Ziel.
„Es geht nur gemeinsam“
Landesrat Hand Berger rief die Vinschger Touristiker eindringlich auf, diesen neuen Weg zu gehen und bereit zu sein, das Konzept umzusetzen: „Ihr bekommt eine Zusatzfinanzierung, müsst allerdings selbst den Beweis erbringen, dass euch an der Umsetzung des Konzeptes wirklich gelegen ist.“
„Es ist höchst an der Zeit, dass der Vinschgau diesen Weg gemeinsam geht“, sagte Hansi Pichler, Obmann des HGV-Bezirks Meran/Vinschgau. Bezirkspräsident Andreas Tappeiner, seines Zeichens auch Bezirksobmann des Bauernbundes, freute sich, „dass wir erkannt haben, dass es nur gemeinsam geht.“ Dietmar Spechtenhauser, Bezirkspräsident des hds (Handels- und Dienstleistungsverband Südtirol) gab sich vom Konzept begeistert und sicherte die Unterstützung und Mitarbeit des hds zu.
Senator Manfred Pinzger gab sich ebenfalls von der Güte des Konzeptes überzeugt, verwies aber auch auf die konkrete Umsetzung: „Wir müssen alle überzeugt und bereit sein, viel Kraft aufzubringen, auch finanzieller Natur. Die Erhöhung der Mitgliedsbeiträge um 50 Prozent - diese Beträge werden ja auf freiwilliger Basis entrichtet - ist kein Pappenstiel.“
Zur Konzept-Vorstellung waren nicht nur zahlreiche Vertreter der Tourismusvereine und des HGV gekommen, sondern auch fast alle Bürgermeister bzw. Tourismusreferenten, Vertreter aller Wirtschaftszweige, der SMG sowie des LTS mit Präsident Ambros Hofer an der Spitze. Sogar der Schnalser Bürgermeister Karl Josef Rainer war anwesend, wenngleich die Gemeinde Schnals tourismusmäßig zum Bezirk Meran gehört.
Karl Pfitscher, der als scheidender Verbandspräsident auf keine leichten Monate zurück blickt, aber dennoch seinen Mann gestanden hat, gab sich vom Konzept und der Diskussion positiv überrascht.
Viel eingehender und wohl auch kontroverser dürfte über das neue Konzept und dessen Umsetzung bei den anstehenden Treffen mit den Tourismusvereinen und Wirtschaftsverbänden diskutiert werden.

Josef Laner