Ohne Benzin läuft der Tourismus-Motor nicht
Publiziert in 10 / 2014 - Erschienen am 19. März 2014
Vinschgau Marketing-Direktor Kurt Sagmeister im Interview
Glurns - Seit fast genau zwei Jahren ist Vinschgau Marketing, die Nachfolgeorganisation des früheren Tourismusverbandes, operativ. Das motivierte Team im neuen Sitz in Glurns ist seit kurzem vollständig: 4 Mitarbeiterinnen und Direktor Kurt Sagmeister. Das Team gibt unter der Präsidentschaft von Matthias Tschenett täglich sein Bestes, damit der Tourismus im Vinschgau nicht nur läuft, sondern noch stärker in Fahrt kommt. „Wir hören zwar täglich, dass der Tourismus der Motor der Wirtschaft ist, aber auch dieser Motor braucht Benzin, damit er laufen kann,“ sagt Kurt Sagmeister.
der Vinschger: Wie geht es dem Tourismus im Vinschgau?
Kurt Sagmeister: Wir liegen im Trend, wie er derzeit im ganzen Land vorzufinden ist. Die Wirtschaftskrise in Italien ist spürbar. Die Stimmung insgesamt ist aber dennoch nicht schlecht. Von den Nächtigungszahlen her haben uns die verheerenden Wetterbedingungen im Juni 2013 ein Minus beschert. Für mich sind Zahlen und Statistiken aber immer mit Vorbehalt zu genießen, denn sie unterliegen vielen Einflüssen, die nicht in der Hand von Vinschgau Marketing liegen. Das Wetter ist nur eine dieser Komponenten.
Kann man mit der Wintersaison zufrieden sein?
Das ist derzeit noch schwer abzuschätzen. Nimmt man die Übernachtungen her, dürften wir in etwa gleich dastehen wie im Vorjahr. Von Skigebietsbetreibern ist allerdings zu hören, dass es wegen vieler Schlechtwetterperioden an Wochenenden zu Einbrüchen bei den einheimischen Gästen kam. Vom Schnee her war der Winter super. Es gab fast zu viel Schnee. Dass in Deutschland so gut wie überhaupt kein Schnee fiel, führte dazu, dass bei vielen potentiellen Wintergästen keine Lust auf Schnee und Skifahren aufkam.
Was waren die wichtigsten Änderungen seit der Entscheidung, den „Vinschger Weg“ zu gehen und Vinschgau Marketing zu gründen?
Mit Vinschgau Marketing ist es gelungen, die Aufgaben zwischen dem früheren Tourismusverband und den Tourismusvereinen aufzuteilen. Es gibt jetzt eine klare Positionierung und einen einheitlichen Auftritt des Vinschgaus, im Internet ebenso wie in Printmedien und anderen Bereichen. Dies bringt Wiedererkennbarkeit. Davon profitiert man nicht sofort, sondern erst in einigen Jahren. Andere Tourismusregionen sind in diesem Punkt ein bisschen neidisch auf den Vinschgau. Auch die Arbeitsweise hat sich geändert. Der Verwaltungsrat denkt für den Vinschgau und nicht nur für den von ihm vertretenen Ort, es herrschen Solidarität und Kompromissfähigkeit vor. Der Verwaltungsrat gibt die groben Richtlinien vor und vertraut in den Detailentscheidungen auf das Fachwissen von mir und meinem Team.
Mit dem Logo und dem Motto „Kulturregion in Südtirol“ waren aber nicht alle sofort einverstanden.
Bei der Diskussion um das Logo gab es zwar unterschiedliche Ansichten, aber am Ende haben die Vernunft und die Fakten der Marktforschung gesiegt. Wir definieren den Begriff Kultur nämlich sehr breit und beziehen uns nicht nur auf Schlösser, Burgen und Museen. Auch Waale, Brauchtum, Märkte, Gepflogenheiten und das gesellschaftliche Leben und Erleben sind Kultur. Wandern zum Beispiel kann man überall, was den Unterschied im Vinschgau ausmacht, ist der omnipräsente kulturelle Hintergrund. Eine Wanderung auf einem Waalweg ist für uns Einheimische selbstverständlich, für einen Gast jedoch sehr außergewöhnlich, auch das ist ein Stück Vinschger Kultur. Wichtig ist auch der Zusatz „in Südtirol“, damit wir von der Bekanntheit Südtirols profitieren.
Wie stark ist der Rückhalt von Vinschgau Marketing bei den Tourismusvereinen und Betrieben?
Wir haben mit den Tourismusvereinen ein sehr partnerschaftliches Verhältnis. Wir verstehen uns nicht als übergeordnete Autorität, sondern als Partner auf gleicher Augenhöhe, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, aber dasselbe Ziel verfolgen. Wir treffen uns mit den Tourismusvereinen einmal im Monat. Das Klima ist gut. Auch wenn man es nie allen 600 Betrieben im Vinschgau gleich recht machen kann, erfährt Vinschgau Marketing von ihnen viel Zuspruch.
Wie steht es mit dem Vorhaben einer einheitlichen Beschilderung?
Was den Fahrradweg Claudia Augusta betrifft, so wird heuer im Frühjahr eine neue und einheitliche Beschilderung angebracht. Mit der einheitlichen Beschilderung an den Ortseinfahrten und -ausfahrten entlang der Staatstraße hat Taufers im Münstertal begonnen, Schlanders folgt demnächst, ebenso weitere Dörfer.
Ist der Fahrradtourismus noch ausbaufähig?
In diesem Bereich haben wir die Obergrenze noch nicht erreicht, obwohl wir bereits gut dastehen. Aus der Radreiseanalyse 2014, die der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) kürzlich auf der Reisemesse ITB in Berlin vorgestellt hat, geht hervor, dass die „Via Claudia Augusta“ für die Deutschen der zweitbeliebteste Radweg in Europa ist. Nach wie vor stark im Aufschwung ist das Mountainbiken. Wenngleich dieses Segment im Vergleich zum Wandern von den Zahlen her eine untergeordnete Rolle spielt, ist es mehr als eine Nische. Daher ist es auch wichtig, einvernehmliche Lösungen zwischen den Ansprüchen der Wanderer und Biker zu finden. In punkto Mountainbiken genießt der Vinschgau einen exzellenten Ruf als Geheimtipp, diese Position müssen wir verteidigen.
Sie haben hier in Glurns oft Journalisten aus dem Ausland zu Gast. Wie wird der Vinschgau von außen wahrgenommen? Welche Stärken werden genannt?
Wir stellen nicht selten fest, dass Journalisten zwar Südtirol ziemlich gut kennen, nicht aber den Vinschgau. Ihr Interesse gilt nicht so sehr der Anzahl und Länge von Waalwegen, sondern der Geschichte, die dahinter steckt: Warum wurden überhaupt Waale angelegt? Warum steht im Reschensee ein Kirchturm? Originelle und authentische Geschichten aus dem Vinschgau stoßen ebenso auf Interesse wie Menschen und Persönlichkeiten, wobei die Palette von Reinhold Messner bis zum Künstler Jörg Hofer reicht. Zusammen mit regionalen Produkten wie z.B. Palabirne, Marillen, Äpfel, Brot, Alpkäse und anderen wird der Vinschgau als eine spannende Ferienregion wahrgenommen, in der es viel zu entdecken und erleben gibt. Auch die Architektur spielt hier mit hinein, die romanischen Kirchen ebenso wie markante Neubauten, wie es zum Beispiel die Whisky Destillerie in Glurns ist.
Und auf welche Schwächen wird verwiesen?
Was wir oft zu hören bekommen, ist die doch schwierige Erreichbarkeit. Wer von München anreist, ist in wenigen Autostunden hier. Viel umständlicher und zeitraubender ist die Anreise zum Beispiel von Hamburg. Wir von Vinschgau Marketing sind überzeugt, dass die Anbindungen zu den Flughäfen Innsbruck, Zürich und Friedrichshafen zu verbessern sind ebenso zum Bahnhof Landeck. Was mittlerweile sehr gut funktioniert, ist die Busverbindung in die Schweiz. Dass es gute Argumente geben muss, so genannte Alleinstellungsmerkmale, um überhaupt in den Vinschgau kommen zu wollen, liegt auf der Hand. Diesbezüglich haben wir speziell im Winter ein Problem, weil Skiregionen austauschbar sind. Der Gast fragt sich natürlich: warum soll ich so weit fahren, wenn dasselbe Angebot anderswo leichter erreichbar ist?
Wie schätzen Sie die Entwicklung im Wintertourismus ein?
Der gesamte Wintertourismus befindet sich in einem brutalen Verdrängungswettbewerb. Ein großes Problem, mit dem alle zu kämpfen haben, ist die Tatsache, dass immer weniger Kinder Skifahren können und Skifahren insgesamt sehr teuer ist. Der Trend geht auch immer mehr hin zu alternativen Wintersportarten „Bewegen im Schnee“, sprich Skitour-Gehen, Langlaufen und Schneeschuhwandern. Hier haben wir großes Potential, da wir noch unberührte Landschaften haben, doch wir müssen uns jetzt in diesem Bereich aufstellen, damit wir in Zukunft vielleicht auch den Ruf erlangen, den wir zum Beispiel beim Mountainbiken haben. Gleichzeitig müssen wir aber auch das nach wie vor wichtige Skiangebot stetig weiterentwickeln und uns auch dort Alleinstellungsmerkmale schaffen.
Ist die finanzielle Ausstattung von Vinschgau Marketing zufriedenstellend?
Wir können mit den derzeitigen Finanzmitteln gut arbeiten. Die Sonderfinanzierung für Vinschgau Marketing läuft 2015 aus, die EU-Förderung hingegen läuft voraussichtlich im nächsten Jahr wieder an. Manche Betriebe erwarten von den Tourismusvereinen und Verbänden, dass diese ihnen die Betten füllen und Gäste schicken. Dafür reicht die finanzielle Ausstattung bei weitem nicht und zudem hat sich auch das Buchungsverhalten der Gäste verändert. Wir bereiten jedoch den Boden für eine Buchung. Wir sind dafür verantwortlich, dass ein potentieller Gast, der Urlaub in Südtirol machen will, auch an den Vinschgau denkt. Es gäbe sehr viel zu tun, was vorwiegend Personalkraft braucht und nicht unbedingt große Budgets. Es braucht gut ausgebildete Leute im Tourismusmarketing, da immer professionellere Leistung verlangt wird, die mit der eines Vereins, wie es vor 20 Jahren war, nichts mehr zu tun hat. In der Hotellerie wird Personal vielfach als Kostenfaktor gesehen, für uns sind die Mitarbeiter und deren Wissen das wichtigste Kapital. Zu den Finanzen insgesamt ist zu sagen, dass wir im Vergleich zu anderen Ferienregionen in Südtirol immer über ein kleineres Budget verfügen werden. Die Ferienregionen in Südtirol sind finanziell schwächer ausgestattet als zum Beispiel Mitbewerber in Österreich. Es liegt also an uns allen, den Nachteil des kleineren Budgets mit Kreativität, Einsatz und Zusammenhalt auszugleichen.
Sie haben schon oft unterstrichen, dass sich der Vinschgau unter seinem Preis verkauft. Hat sich in dieser Richtung etwas getan?
Auch das ist eine Entwicklung, die wir mittel- bzw. langfristig im Auge behalten wollen und müssen. Wir müssen stolz auf unser Produkt sein und den Mut haben für das, was wir leisten, einen gerechten Preis zu verlangen. Wir müssen dem Gast nichts schenken. Mit dem 1. März zum Beispiel haben wir die VinschgauCard eingeführt. Wenn dem Gast nun die Möglichkeit geboten wird, den Vinschgau unbegrenzt und kostengünstig zu entdecken, ist es recht und billig, dass die Betriebe mindestens die dafür anfallenden Kosten, besser wäre mehr, über die Übernachtungspreise wieder hereinholen. Langfristig überlebt ohnehin nur die Qualität, wobei Qualität aber nicht mit einem Vier-Sterne-Betrieb gleichzusetzen ist. Für eine Pension ist die Qualität ebenso wichtig, aber eben eine andere als im Vier-Sterne-Betrieb. Höchste Qualität äußert sich häufig in der Liebe zum Detail, die hebt einen vom Mittelmaß ab.
Was muss bzw. kann die Politik tun, um die Tourismusorganisationen bzw. auch die Betriebe zu unterstützen?
Wenn man sich den Landeshaushalt ansieht und gleichzeitig den Sager „Der Tourismus ist der Motor der Wirtschaft“ in den Ohren hat, muss man feststellen, dass für diesen Motor im Vergleich zu anderen Sparten wenig Benzin bereitgestellt wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Tourismus in etlichen Regionen in Südtirol der einzige Sektor ist, in dem ein Wachstum noch möglich ist. Was die Betriebe betrifft, so ist die Steuerlast erdrückend. Schon allein die hohen IMU-Beiträge führen dazu, dass notwenige Investitionen in den Betrieben einfach nicht möglich sind. Dass das Tourismusland Südtirol heute noch so dasteht, ist auf den Einsatz der vielen Gastwirtefamilien zurückzuführen die nicht etwa 8, sondern bis zu 14 und mehr Stunden pro Tag im Betrieb arbeiten.
Im Vorjahr fiel der Giro d’Italia zwar buchstäblich in den Schnee, doch heuer ist Martell am 27. Mai erneut Etappenziel. Sind die Vorbereitungen dazu schon im Gang?
Die Vorbereitungen sind voll im Laufen. Wir können auf die Erfahrungen des Vorjahres zurückgreifen. Aus Fehlern haben wir gelernt.
Einen Start in Schlanders am Tag danach gibt es heuer aber nicht.
Nein. Im Gegenzug dazu stehen wir aber an zwei Tagen im Fokus der Medien, denn am 26. Mai legt der Giro in Vorbereitung auf die erste richtige Bergetappe, die am 27. Mai über das Stilfserjoch führt und in Hintermartell endet, einen Ruhetag ein. Die nächste Etappe wird am 28. Mai in Sarnonico im Trentino gestartet.
Spielt die Pestiziddebatte auch im Tourismus eine Rolle?
Aus einer Gästebefragung geht klar hervor, dass diese Debatte vinschgauweit bei den Gästen nur eine verschwindend kleine Rolle spielt. Weit mehr ins Gewicht fällt dabei die landschaftliche Veränderung im Obervinschgau. Manche Gäste hegen in diesem Punkt und in dieser Gegend schon Bedenken. Dass auch die Lebensmittelgesundheit und die Gesundheit insgesamt Themen sind, mit denen sich die Gäste, also auch die Kunden der Obstproduzenten zunehmend beschäftigen, ist ebenso Fakt. Ich bin kein Landwirtschaftsexperte, glaube aber, dass wir allgemein in der Landwirtschaft jetzt, solange es gut geht, beginnen müssen den Kurs zu korrigieren und die Weichen zu stellen, damit wir in 10 oder noch mehr Jahren gerüstet sind und dann weiterhin eine Führungsposition einnehmen können.
Interview: Sepp Laner

Josef Laner