Regionalwährung ab Herbst 2014?
Publiziert in 2 / 2014 - Erschienen am 22. Januar 2014
Neues Wirtschaftsmodell im Visier. LH Arno Kompatscher: „Wirtschaftliches Handeln muss dem Gemeinwohl dienen“.
Goldrain - Im März 2013 ist das Pilotprojekt „Gemeinwohl-Region Vinschgau“ angelaufen. Am vergangenen Freitag zogen die Hauptakteure dieses EFS-Projekts bei einer vierstündigen und sehr gut besuchten Tagung im Bildungshaus Schloss Goldrain eine erste Zwischenbilanz. Vor zahlreichen Vertretern aus der Politik und der Wirtschaft sowie Interessierten aus dem Vinschgau und ganz Südtirol führte Günther Reifer, der das Projekt zusammen mit Armin Bernhard federführend betreut, in die Grundsätze und Ziele der Gemeinwohl-Ökonomie ein. Es gelte, ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft zu entwickeln. Nicht mehr die Gewinn-Maximierung sollte das einzige Ziel des Wirtschaftens sein, sondern das Wohl aller. Es gehe um eine sozialere, ökologischere und demokratischere Wirtschaft, die auf Kriterien aufbaut, die das Allgemeinwohl fördern. Auch Werte wie Zusammenarbeit, Solidarität, Zufriedenheit und soziale Verantwortung spielen dabei eine große Rolle, ebenso die Nutzung lokaler Ressourcen und die Stärkung der kleinen Kreisläufe.
„Es ist nicht egal, wo ich mein Geld ausgebe“
Reifer: „Es ist nicht egal, wo und wie ich mein Geld ausgebe. Wir müssen uns fragen, wo die Produkte herkommen und wie sie hergestellt werden.“ Mit einem gemeinwohl-orientierten Wirtschaftsmodell können Herausforderungen, wie es etwa die Wirtschaftskrise ist, der Werteverlust, die Abwanderung oder die steigende Arbeitslosigkeit, besser bewältigt werden. Der Gemeinwohl-Gedanke, der auch eine neue Definition des Begriffs Erfolg beinhaltet - Erfolg ist viel mehr als nur monetärer Gewinn-, fasse immer stärker Fuß. In Südtirol gibt es derzeit 40 Unternehmen, die Gemeinwohl-Bilanzen erstellen, bei zehn 10 davon handelt es sich um Vinschger Unternehmen. Neben der Wirtschaft soll der Gemeinwohl-Gedanke auch in Gemeinden, Schulen und in der Bevölkerung Wurzeln schlagen. „Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das Projekt Gemeinwohl-Region gerade auch den Gemeinden neue Spielräume eröffnet, um unsere Region insgesamt zu stärken,“ sagte Andreas Tappeiner, der Präsident der Bezirksgemeinschaft, der Trägerin des Projekts. Laut Tappeiner fuße der Gemeinwohl-Gedanke auch auf tief christlichen Werten wie gegenseitiger Respekt, Vertrauen, und Helfen.
Erste Ergebnisse
aus den 4 Pilotgemeinden
In den vier Pilotgemeinden Schlanders, Mals, Latsch und Laas wurden im Zuge des Projekts Gemeinwohl-Bilanzen erstellt. Anhand unterschiedlichster Kriterien wie etwa Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Transparenz, Solidarität, Arbeitsplatz-Qualität und Menschenwürde wurde erhoben, wie der derzeitige Stand der Dinge ist: Wo kaufen die Gemeinden ein? Wie viele Mitarbeiter kommen zu Fuß oder mit dem Rad zur Arbeit? Wie groß ist die Schere zwischen Gering- und Gutverdienern? Woher kommen die Hackschnitzel für die Fernheizwerke? Wie steht es um die Transparenz? Inwieweit dürfen die Mitarbeiter mitbestimmen? Vorgestellt wurden die Gemeinwohl-Bilanzen von Gudrun Warger (Kabinett der Gemeinde Schlanders), Georg Schuster (Gemeindesekretär in Latsch), Verena Tröger (Gemeindereferentin in Laas) und Sibille Tschenett (Vizebürgermeisterin in Mals). Die Erstellung der Bilanzen, die nun den Gemeinderäten vorgestellt werden sollen, war zwar zeit- und arbeitsauswendig, hat sich aber gelohnt, wie es mehrfach hieß. Es kamen neue Denkprozesse in Gang und es tauchten auch konkrete Verbesserungsvorschläge auf. Mit positiven Erfahrungen aus Unternehmersicht in Bezug auf die Gemeinwohl-Bilanz wartete Herbert Niederfriniger (Soligno Rubner) auf. Karl Perfler, der kürzlich ca. 50 Unternehmer/innen aus ganz Südtirol zu einem Treffen zum Thema Gemeinwohl auf der Tschenglsburg begrüßen konnte, rief dazu auf, den Mut für eine Änderung der Sichtweisen aufzubringen: „Der Mensch muss stimmig mit sich selbst denken und handeln, stimmig mit der Natur und dem Umfeld. Der Mensch ist in seiner Ganzheit zu sehen.“
Arno Kompatscher
begrüßt das Projekt
Landeshauptmann Arno Kompatscher gratulierte allen Projekt-Beteiligten, zu denen auch die EURAC Bozen und die Universität Bozen gehören, zu den bisherigen Ergebnissen. „Wirtschaftliches Handeln muss dem Gemeinwohl dienen“, sagte Komptscher. Dieses Prinzip sei auch im Regierungsprogramm enthalten. Das Motto „immer mehr“ stoße immer stärker auf seine Grenzen: „Der Wohlstand darf nicht auf Kosten der Natur, der Landschaft und der nachfolgenden Generationen gesteigert werden.“ Besonders erfreut zeigte er sich, dass gerade auch Gemeinden in diesem Sinne mit gutem Beispiel vorangehen. Gehört hat diese Worte auch der neue Gemeindenpräsident Andreas Schatzer. Er verfolgte die Tagung ebenso mit wie Landesrat Richard Theiner, die Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa, viele Vinschger Bürgermeister und weitere Gemeindepolitiker.
Einen konkreten und sichtbaren Ausdruck soll das bisher doch ziemlich theoretisch gehaltene Projekt im Herbst 2014 finden.
Mit Regionalgeld Standortnachteile abfedern
Zu diesem Zeitpunkt soll nämlich das „Vinschger Regionalgeld“ in den Umlauf kommen. „Das Ziel dieser komplementären, Euro-gedeckten Währung ist es, die Standortnachteile peripherer und ländlicher Gebiete, wie es auch der Vinschgau ist, ein Stück weit abzufedern und auszugleichen“, erläuterte Armin Bernhard. Es handle sich Gutschein-Modell. Die Trägerschaft der Regionalwährung soll eine noch zu gründende Genossenschaft von mindestens 50 Unternehmern übernehmen. Es ist geplant, dass die Gutscheine von drei Banken im Vinschgau (Raiffeisenkassen, Südtiroler Sparkasse und Südtiroler Volksbank) ausgegeben werden. Die Gespräche mit den Banken sind bereits im Laufen. Mit den Gutscheinen kann in den beteiligten Betrieben innerhalb der Region eingekauft werden. Auch Dienstleistungen können mit Gutscheinen in Anspruch genommen werden. Mitglieder werden können alle inhabergeführten Unternehmen im Vinschgau. Von der Regionalwährung, für die noch ein Name zu finden ist, darf man sich laut Bernhard erwarten, dass ein Teil der Wertschöpfung in der Region verbleibt, dass regionale Kreisläufe gestärkt und Prozesse der Bewusstseinsbildung angestoßen werden. Einheimische können ebenso mit Gutscheine zahlen wie Gäste.
Der kommunale Gemeinwohl-Index
Der EURAC-Wissenschaftler Christian Hoffmann stellte den kommunalen Gemeinwohl-Index vor, der von Fachleuten der EURAC zusammen mit Vertretern der 4 Pilotgemeinden erarbeitet wurde. Der Index ist ein Instrument, um das Gemeinwohl zu messen. Er baut auf 5 Themen bzw. Indikatoren auf: Ökonomie, Bevölkerungsentwicklung, Lebensqualität, Sozialpolitik sowie Umwelt und Ökologie. Auch Einflüsse von außen werden berücksichtigt. Einig sind sich alle darin, dass die Gemeinwohl-Region Vinschgau ein Prozess ist, ein Weg, den es weiterzugehen gilt, damit die Vision der Stärkung des Vinschgaus auf möglichst vielen Ebenen zumindest ansatzweise Wirklichkeit wird. Geplant sind unter anderem die Gründung einer zweiten Unternehmensgruppe im Vinschgau sowie die Einsetzung einer zweiten Gemeinde-Gruppe. Auch ein Wirtschaftskonvent steht auf dem Programm sowie die Vernetzung mit anderen Gemeinwohl-Regionen. Das Königreich Bhutan im Himalaya gilt als das weltweit einzige Land, dem das Glück und die Zufriedenheit der Bewohner wichtiger sind als der wirtschaftliche Erfolg. Günther Reifer wünscht sich, „dass der Vinschgau zum Buthan des Westens wird.“ Er hofft zudem, dass der Gemeinwohl-Gedanke ganz Südtirol erfasst. Sepp
Josef Laner