Handy, Gameboy und Playstation in Kinderhand
„Ich weiß schon, dass im Fernseher keine Schlange drin ist, aber ich habe trotzdem Angst vor ihr“, sagt der 11-jährige Matthias.

Risiken und Chancen der neuen Medien

Publiziert in 40 / 2007 - Erschienen am 14. November 2007
Ob Fernsehen, Umgang mit Video- oder Gameboyspielen, Benutzung des Computers oder Umgang mit Internet und Handy – die neuen Medien stellen Eltern vor viele Fragen, Zweifel und auch Probleme. Der bekannte Medienpädagoge Oberschulrat Dr. Mag. Helmar Oberlechner hielt zu diesem Thema unlängst einen vergnüglichen Vortragsabend, organisiert von der VKE-Sektion Schlanders in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Familienverband Südtirol, Zweigstelle Schlanders. von Silvia Gasser „Ich hab den Fernseher deshalb sooo gern, weil er immer Zeit für mich hat“. Diese Aussage eines 12-­jährigen Mädchens stimmt nachdenklich. Eigentlich wünscht sie sich – wie alle Kinder – einen Menschen, der sie umarmt, der ihr einen Guten-Morgen-Kuss gibt, der ihr zuhört, der ihr eine Geschichte vor dem Schlafengehen erzählt…. Zeitmangel der Erwachsenen, beruflicher Stress, Alleinerziehersituationen und vieles mehr stehen diesem lebenswichtigen Bedürfnis unserer Kinder ­diametral entgegen. Immer mehr Kinder verbringen immer mehr Zeit mit dem virtuellen Babysitter. Viele Familien richten ihren Zeitplan nach dem Fernsehprogramm. Was oft fehlt ist die menschliche Zeit für die Familie. Leicht ist daher auch der Sündenbock gefunden, wenn Kinder unartig sind, aggressiv wirken oder in der Schule schlechte Leistungen bringen. Schnell wird dem Fernsehen oder Computer die Schuld gegeben. TV und Computer haben aber immense Möglichkeiten, für Spiel, Spaß, Unterhaltung und auch Wissen zu sorgen. Mit der richtigen „Dosierung“ und dem richtigen Umgang mit diesen Medien eröffnet sich unseren Kindern und Jugendlichen eine Vielfalt an Informationen und Unterhaltung. Computerspiele bieten grenzenloses Abenteuer Kinder verbringen immer mehr Zeit mit einem elektronischen Spielkameraden, erkunden mit Lernsoftware und Internet das Wissen unserer Welt. Spiellust und Langeweile, Forschungsdrang und Neugier, aber auch Flucht vor bedrückenden Alltagsproblemen sind nur einige Gründe für die Spielleidenschaft unserer Kinder. Durch realistisch wirkende Bilder und Töne wirken die Spiele über die Gefühle und den Verstand des Spielers. Er identifiziert sich mit einer Spielfigur und empfindet „mit ihr“ Angst, Trauer, Freude, Ärger, Sehnsucht, Ehrgeiz, Neugier etc. Kinder haben naturgemäß ein höheres Lerntempo als Erwachsene, außerdem wachsen sie „von Geburt an“ mit dieser neuen Medienwelt auf. Nicht selten sind bereits Grundschulkinder im Umgang mit dem Computer ihren Eltern weit voraus. Manche Eltern fühlen sich dadurch bedroht. Nach dem Spieleinhalt lassen sich Computerspiele folgendermaßen einteilen: grob klassische Spiele (z.B. Kartenspiele, Schach etc), Lern-, Denk-, und Geschicklichkeitsspiele (z.B. Addy, Tetris etc.), Sportspiele, Jump-and-run-Spiele (z.B. ­Super Mario), Simulations- und Strategiespiele (Familienleben, Wirtschaft, Technik, Umwelt, Militär etc.), Abenteuer- und Fantasyspiele, Action-, Kampf-, Kriegsspiele (die gewalttätigsten darunter sind die so genannten „Ego-shooter“).Die Spiele erfordern neben der technischen Beherrschung hohes Reaktionsvermögen, Vorausdenken, Kombinieren, ein gutes Gedächtnis, höchste Konzentration und Geschicklichkeit. Viele dieser Fertigkeiten werden die Kinder in Zukunft brauchen. Mit geeigneten Lern- und Denkspielen ist es möglich, sich auf lustbetonte Art „Weltwissen“ anzueignen. Allerdings lernt das Kind dabei nicht durch eigenes „Begreifen“ der dreidimensionalen Umwelt, sondern durch zweidimensionale Abbilder der Wirklichkeit. Eine der größten Ängste der Eltern, nämlich, dass ihr Kind durch die Computerspiele vereinsamt oder gar süchtig wird, ist sicher nicht ganz unbegründet. Allerdings: laut Studien sind nur etwa 9 Prozent aller Computerkids computersüchtig. Für den Großteil der Kinder ist die wichtigste Freizeitbeschäftigung noch immer „sich mit Freunden zu treffen“. Kinder und Jugendliche, die in der Realität Freunde und Kameraden haben, vereinsamen auch vor dem Computer nicht! Im Gegenteil - sie spielen auch am Computer am liebsten miteinander! Oft entstehen ganze Spielgemeinschaften, die sich bei der Lösung eines (spielerischen) Problems gegenseitig quasi im Teamwork unterstützen oder anfeuern. Auch die Befürchtung, dass Computerspiele direkte Ursache für Gewalttaten sind, lässt sich schwer nachweisen. Gewalttaten resultieren nämlich aus einem ganzen Bündel an Ursachen: Beziehungsprobleme mit Eltern, Geschwistern, Freund/Innen, Mitschüler/Innen, Lehrpersonen und Vorgesetzten sowie Gewalterfahrungen in der Kindheit (Gewalt als häufiges Erziehungsmittel), Mobbing, Demütigung, Überforderung und Frustration. Hier aber schließt sich der Kreis: in scheinbar ausweglosen Situationen und blinder Wut können Gewaltmuster aus Computerspielen und Filmen zum Vorbild werden. So viel Negatives Computerspielen und dem Internet auch anhaftet, bei „richtiger“ Handhabung öffnen sich Kindern und Jugendlichen fast grenzenlose Möglichkeiten, ihr Wissen und ihre Persönlichkeit zu erweitern. „Das Handy ist etwas Wichtiges für mich, ohne Handy würde mir das Leben ­keinen Spaß machen! ­(Mädchen, 13 Jahre, Vinschgau, 2007) Beinahe jeder Erwachsene besitzt eines, aber auch Jugendliche und immer jüngere Kinder sind großteils im Besitz eines modernen Handys mit vielen Funktionen. Längst hat es sich von einem reinen „Telefon“ zu einem Multifunktionsgerät entwickelt. Man kann SMS verschicken, fotografieren, filmen, Töne aufnehmen, im Internet surfen, Computer spielen, fernsehen, Videos downloaden, Musik hören, geweckt und erinnert werden…. Dass das Handy viele Vorteile bietet, liegt auf der Hand. Aber wie alle anderen Medien birgt auch dieses Gefahren und wirft Probleme auf. Bereits bei der Frage vieler Eltern: „Ab wann braucht mein Kind ein Handy?“ kommen Zweifel auf. Studien berichten, dass bereits 35 Prozent der 6- bis 12-Jährigen ein Handy besitzen, bei den 13- bis 20-Jährigen 92 Prozent. In erster Linie ist abzuwägen, wieso das Kind ein Handy möchte oder braucht. Weil alle anderen eines haben? Oder weil die Klingeltöne Gesprächsthema auf dem Schulhof sind? Oder ist es wirklich so, dass z.B. die Schule weiter entfernt ist, und es oft notwenig ist, die Eltern anzurufen, falls etwas Unvorhergesehenes passiert (z.B. durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel)? Und auch die Frage, ob Kinder wirklich immer und überall erreicht werden müssen, oder ob sie auch lernen sollen, sich an Abmachungen (wo darf ich hin? Wann muss ich zurück sein? Was darf ich tun?) zu halten? Es sollte nicht so weit kommen, dass das Handy ein Mittel zur Kontrolle wird und zur Verbesserung der Kommunikation (oder gar die einzige) zwischen Eltern und Kindern/Jugendlichen missbraucht wird. Beim Handy gilt wie bei allen Medien: gemeinsame Regeln aufstellen und dem Kind die Gefahren und Kostenfallen erklären: kostenpflichtige Nummern (z.B. für Sex-Hotlines), teure Rückrufe (z.B. Sie haben gewonnen, rufen Sie die Nummer…..), Flirt Chats, Mailboxabfragen, Televoting, Missbrauch durch Belästigung, Handyterror, Notruf blinder Alarm (80 Prozent aller Notrufe durch Kinder und Jugendliche werden aus Jux und Tollerei gemacht), Handycam–Verletzung der Intimsphäre, Downloads (z.B. Porno) und vieles mehr. Zur Person: Oberschulrat Dr. Mag. Helmar Oberlechner, geb. 1950, Vater von zwei Kindern, Direktor der Dr.-Fritz-Prior-Hauptschule in Innsbruck, Lektor für angewandte Medienpädagogik an der Universität Innsbruck, Lehramt für Volks- und Hauptschulen, Referent für Medienpädagogik und Mediendidaktik in Österreich, Deutschland, Südtirol und der Schweiz. Was können Eltern tun? Kinder müssen schrittweise lernen, eigenverantwortlich den Computer zu nutzen, Computerspiele auszuwählen, deren Wirkungen einzuschätzen und zu bewältigen! Eltern können ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Im Umgang mit Medien ist von Eltern und Kindern bzw. Jugendlichen Medienkompetenz gefragt. Medienkompetenz heißt: Medien selbstbestimmt und verantwortungsvoll zu handhaben – zur Kommunikation, Information und Wissensvermittlung und auch zur Freizeitgestaltung. Für Kinder heißt Medienkompetenz zudem, unterscheiden zu lernen zwischen realen und fiktionalen Darstellungen im Fernsehen, zwischen Nachrichten oder Dokumentationen und Filmen. Dazu brauchen sie die Hilfe der Eltern. Das Ziel von Medienkompetenz: Nicht die Medien regieren mich, sondern ich regiere die Medien! 1. Stärkung der Persönlichkeit von klein auf! Kinder müssen ihre eigenen Stärken und Schwächen einschätzen, Misserfolge bewältigen lernen dürfen und nicht dafür bestraft werden! Starke Persönlichkeiten können mit medialen Wirkungen besser umgehen als schwache! 2. Gewaltarme Erziehung! Je weniger Gewalt in der Erziehung und im Kindesumfeld gebraucht wird, desto weniger wirken Gewaltmuster aus Computerspielen! 3. Kontrolle des Film- und Spiele konsums, aber sparsam mit Verboten! Computerspiele müssen eine Altersangabe tragen, siehe www.usk.de! Unbeaufsichtigte, auf sich allein gestellte Kinder halten sich aber selten an Beschränkungen! Gute bzw. unbedenkliche Spiele empfehlen der Fachhandel und die Internetadressen www.bupp.at und www.spieleratgebe-nrw.de. 4. Spieldauer beschränken: Fragen Sie Ihr Kind, wie lange es für ein Spiel voraussichtlich brauchen wird und vereinbaren Sie gemeinsam mit ihm die Spieldauer (plus 5 Minuten Überzeit). Damit lernen Kinder, mit ihren Zeitvorräten bewusst umzugehen! 5. Ausrauchphase: Nach einem Spiel Bewegung an der frischen Luft! Kinder sollten nicht sofort nach einem Computerspiel ins Bett geschickt werden! 6. Aufklären: Vorbilder und Handlungen aus einem Computerspiel haben im realen Leben ganz andere – meist schlimme - rechtliche, soziale, körperliche, finanzielle Folgen! 7. Alternativen bieten: Basteln, Spielen, Malen, Lesen, Musik, Tanz, Wandern, Vereine, Sport, etc. 8. Eltern sollten sich kundig machen! Es gibt einschlägige Literatur, Vorträge und Seminare des KFS und des Landesamtes für audiovisuelle Medien. Lassen Sie sich aber auch von Ihren Kindern in deren Spiele einweihen und spielen Sie mit! Dabei lernen Sie nicht nur das Spiel, sondern auch Ihr Kind beim Spiel kennen! Vermeiden Sie aber von vorne herein abwertende Bemerkungen! Gezielte Fragen können bei der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Computerspiel helfen: o Erkläre mir das Spiel, damit ich es verstehe und ich (mit)spielen kann! o Was muss ich für dieses Spiel können? o Wie fühlt man sich beim/nach dem Spielen solcher Spiele? o Warum spielst du solche Spiele gerne? o Was gefällt dir an solchen Spielen, was nicht? o Würdest du dieses Spiel auch einem kleineren Geschwister geben? Warum/nicht? o Womit hattest du selbst schon Probleme, womit hätte ich Probleme?
Silvia Gasser
Vinschger Sonderausgabe

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