Sofortige Unterschutzstellung gefordert
Publiziert in 23 / 2010 - Erschienen am 16. Juni 2010
Taufers i.M. – Er rauschte ziemlich laut gen Glurns, doch die Stimme der Initiative Rambach und der Umweltschutzgruppe Vinschgau war am 5. Juni am Bachufer in Rifair dennoch nicht zu überhören: „Das Wasser aus dem Rambach darf nicht für die Stromerzeugung genutzt werden. Viel mehr ist diese Flussstrecke sofort unter Schutz zu stellen.“ Nicht ungehört - trotz der Klänge, die Walter Hotz aus Müstair mitten im Bach seinem Alphorn entlockte - blieb allerdings auch die Position des Tauferer Bürgermeisters Hermann Fliri: „Eine gemäßigte Nutzung ist möglich und für die Gemeindekasse notwendig.“
von Sepp Laner
Viele hatten sich am Morgen des 5. Juni an der Calvenbrücke eingefunden, um auf Einladung der Initiative Rambach und der Umweltschutzgruppe Vinschgau eine Erlebniswanderung entlang des Bachufers bis Rifair und dann weiter bis Müstair zu unternehmen. Durch welch dicke Rohre (1,4 Meter Durchmesser) ein Teil des Wassers fließen würde, falls eines der derzeit vorliegenden zwei Kraftwerks-Projekte umgesetzt würde, konnten die Wanderer erleben, als sie durch eine Rohr-Attrappe schlüpfen mussten, um vor Raifair zum Bachufer zu gelangen. Dort war es zunächst Ernesto Scarperi (im Bild), der Direktor des Landesamts für Gewässerschutz, der das Rauschen des Bachs mit teils ernüchternden Äußerungen übertönte: „Im neuen Gewässernutzungsplan sind relativ wenige Flussstrecken als Schutzgebiete ausgewiesen, der Rambach gehört nicht dazu.“ Für die Nutzung des Rambachs gebe es mehrere Projekte, „die ich noch nicht kenne.“ Grundsätzlich trete das Amt für Gewässerschutz dafür ein, „dass solche Flussstrecken entweder geschützt und erhalten, oder dass bei einer Nutzung ausreichende Restwassermengen oder Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen werden.“ Nicht zu vergessen sei aber auch, dass mit der Wasserkraft eine saubere, „grüne“ Energie erzeugt wird, wobei allerdings ein Einklang zwischen Natur und Nutzung gegeben sein muss. Der Rambach sei einer der letzten, bisher nicht genutzten Flussläufe. „Die Wasserqualität ist nicht optimal. Es besteht der Verdacht, dass vielleicht irgendwo Abwasser in den Bach fließt,“ so Scarperi.
Peter Gasser (im Bild) brachte die Wünsche und Forderungen der Umweltschutzgruppe und der Initiative Rambach unmissverständlich auf den Punkt: „Erst vor wenigen Tagen wurde in Bozen die Rückführung der Energieproduktion aus Wasserkraft in heimische Hand gefeiert. Wenn dem schon so ist, dürfte es doch kein Problem sein, der Gemeinde Taufers, welche angeblich die aus der Stromproduktion erhofften Geldmittel dringend braucht, eine finanzielle Beteiligung an lokalen, bestehenden Großableitungen zuzugestehen und den Rambach sofort unter Schutz zu stellen.“ Eine Ausgleichzahlung dieser Art sei ein gangbarer Weg, „eine gute Alternative, nur muss sie auch von der Politik gewollt und mitgetragen werden.“ Die Umweltschützer und Vertreter der Initiative Rambach fordern, dass der Rambach sofort unter Schutz gestellt wird. Damit werde einerseits verhindert, dass die Wertschöpfung des Rambachs möglicherweise in fremde Hände gelangt. Andererseits würden die Bachlandschaft und ihre Umgebung damit als Naherholungsgebiet für die Einheimischen und Touristen erhalten bleiben. Das bisher nahezu unberührte Fließgewässer müsse in seiner Einmaligkeit als Mehrwert erkannt und gerettet werden. Weiters öffne der Rambach die Tore für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die den Bürgern dies und jenseits der Grenze viele Vorteile bringen könnte.
Auf Schweizer Seite ist der Rambach bereits seit einiger Zeit geschützt. Auch vorbildliche Renaturierungs-Projekte wurden dort durchgeführt. Mit einer mehr als nur passenden Nachricht, die frisches Wasser auf die Mühlen der Umweltschützer und der Initiativgruppe Rambach fließen lässt, wartete Gabriella Binkert (im Bild), Kreispräsidentin und Direktorin der Biosfera Val Müstair, auf. Binkert war soeben aus Paris zurückgekehrt. Dort war beschlossen worden, dass das Val Müstair und der Schweizerische Nationalpark jetzt ein gemeinsames UNESCO-Biosphärenreservat bilden. Das erweiterte UNESCO-Biosphärenreservat Val Müstair-Parc Naziunal besteht nun einerseits aus dem Schweizerischen Nationalpark mit der streng geschützten Kernzone und anderseits aus der Val Müstair, das die Pflege- und Entwicklungszone bildet. Die Fläche des Biosphärenreservats hat sich damit mehr als verdoppelt und umfasst nun ca. 371 Quadratkilometer. Zur neuen Fläche gehört nicht ausschließlich Wildnisgebiet, sondern auch Kulturlandschaft, die über eine hohe Biodiversität verfügt. Das erweiterte Biosphärenreservat erfüllt die seit 1995 gültigen Vorgaben der UNESCO vorerst teilweise. Die UNESCO verlangt, dass die Vorgaben bis 2013 vollständig erfüllt werden. Mit ausschlaggebend für die Erteilung des UNESCO-Labels für das Biosphärenreservat Val Müstair war laut Binkert nicht zuletzt das Themenweg-Projekt „A la Riva dal Rom“, auf den Weg gebracht von der Biosfera Val Müstair in Zusammenarbeit mit dem Parc Naziunal. „Es muss, gelingen, dass wir jetzt gemeinsam etwas auf die Beine stellen“, so Binkert, die den Tauferern und Vinschgern die volle Unterstützung von der Schweizer Seite zusagte.
Dass ein Kraftwerk „nicht unbedingt sein muss“, sagte Rudi Laganda (im Bild), der in Rifair in mittelbarer Nähe des Bachs wohnt. Um wenn schon ein Werk gebaut wird, „sollen die Tauferer voll mit dabei sein und auch etwas davon haben.“ Laganda mahnte allerdings auch Verbauungsmaßnahmen an, denn was geschehen kann, wenn alle Bäche rundum anschwellen und viel Wasser führen, habe sich beim Unwetter zu Pfingsten 1983 in aller Deutlichkeit gezeigt. „Man muss schon etwas tun, damit der Bach auch in solchen Situationen seinen Weg findet.“
Zu den vehementesten Kämpfern für die sofortige Unterschutzstellung des Rambachs gehört Heinrich Ofner (im Bild), ebenfalls ein Anrainer in Rifair. Der Bach laufe Gefahr, der Stromlobby zum Opfer zu fallen, „es muss uns allen klar sein, was das bedeutet: zum einen könnten wir durch die Finger schauen und zusehen, wie andere das große Geld machen, und zum anderen würde einer der letzten unberührten Flussläufe zerstört.“ Ofner erinnerte daran, dass entlang des Rambachs von der Schweizer Grenze bis zur Calvenbrücke ein ca. 6 Kilometer langer Spazier- und Radweg verläuft. In Zeiten der Schneeschmelze und bei Dauerregen führe der Rambach über sein sehr breites Bachbett zwar viel Wasser, doch rund 7 Monate im Jahr gebe es relativ wenig Wasser. Ofner und seine Mitstreiter haben Angst, „dass wir am Ende weder eine intakte Natur haben noch die erhofften Einnahmen aus der Nutzung der Wasserkraft.“ Würde der Bach, „das Kostbarste, was wir haben“, geschützt, könnte er auch in wirtschaftlicher Hinsicht etwas bringen, in erster Linie als Aushängeschild für nachhaltigen Tourismus. Der Fremdenverkehr in Taufers ist laut Ofner „mikrig“, „mit der Landwirtschaft und dem Handwerk geht es abwärts.“
„Alles Probleme, die wir als Gemeindeverwaltung sehr wohl kennen und natürlich auch in den Griff kriegen wollen“, konterte Bürgermeister Hermann Fliri (im Bild). Zur Forderung, den Rambach unter Schutz zu stellen, meinte er: „Theoretisch ist das zwar möglich und der Gemeinderat könnte einen diesbezüglichen Beschluss fassen. Das Problem aber ist, dass der Erhalt von Ausgleichzahlungen oder die Beteiligung der Gemeinde an Großableitungen reine Illusionen sind.“ Sowohl Landeshauptmann Luis Durnwalder als auch SVP-Obmann Richard Theiner hätten ihm gegenüber sinngemäß gesagt: „Wenn ihr den Bach unter Schutz stellen und auf das E-Werk verzichten wollt, muss es euch auch Wert sein, auf die Einnahmen zu verzichten.“
Zurzeit liegen zwei Kraftwerks-Projekte auf, eines der Eisackwerk GmbH (Hellmuth Frasnelli) und eines der „E AG“ Mals. Das Projekt der „E AG“ sieht vor, dass die SEL mit 50 Prozent beteiligt wird, die Gemeinden Taufers und Mals mit jeweils 20, Glurns mit 7 und Schluderns mit 3 Prozent. Beide Projekte gelten als Großableitungen, weil sie eine Jahresproduktion von über 30 Millionen kWh vorsehen. Für Großableitungen ist eine europaweite Ausschreibung vorgesehen, nicht aber die Grundverfügbarkeit. „Bei Kleinableitungen hingegen muss die Grundverfügbarkeit gegeben sein“, so Hermann Fliri. Das bedeute, „dass Privaten und Großkonzernen der Zugang verwehrt werden kann.“ Der Tauferer Bürgermeister ist überzeugt, dass die Dienststellenkonferenz im Umweltbereich die zwei derzeitigen Projekte in Kürze archivieren wird. Dies wiederum führe dazu, „dass alle Karten neu gemischt werden und sich möglicherweise die Tür für ein kleineres Projekt öffnet.“ Fliri ist auch überzeugt, „dass eine mäßige Nutzung des Rambachs möglich und notwendig ist.“ Würde die SEL von einer Mitbeteiligung zurückstehen, könnte das Projekt bis auf ca. die Hälfte „gestutzt“ werden: „Die Einnahmen für Taufers und die anderen Anrainergemeinden wären gesichert und der Bach würde ein Kleinprojekt leicht verkraften.“ Eine sofortige Unterschutzstellung erachtet Fliri als verfrüht. Er wettet, „dass fast alle Bürger für ein Kleinkraftwerk sind, wenn es gelingt, den Weg dafür zu ebnen.“ Eine Volksbefragung unter diesen neuen Vorzeichen könne er sich ohne weiteres vorstellen.
Auch der Malser Bürgermeister Ulrich Veith, der etwas später zur Gruppe dazu stieß, äußerte sich dahingehend, dass ein kleineres Projekt seiner Meinung nach verkraftbar sein müsste. Er gab sich auch überzeugt, dass ein Kleinkraftwerk mit dem Vorhaben, den Flussraum nachhaltig touristisch zu nutzen, in Einklang zu bringen sei.
Die Umweltschützer und die Intiative Rambach hingegen stemmen sich auch gegen eine Kleinkraftwerk. Ihrer Meinung nach darf der Fluss überhaupt nicht angetastet werden. Von Fluss-Aufweitungen entlang der Strecke zwischen der Calvenbrücke und Glurns als Ausgleichsmaßnahmen halten sie genau so wenig wie Professor Florin Florineth, der sagte: „Die Restwassermengen reichen für diesen Zweck bei weitem nicht aus.“
Seinen Abschluss fand die Erlebniswanderung in Plazzöl in Müstair. Dort rief Gabriella Binkert erneut dazu auf, dass nun nach der Erteilung des UNESCO-Labels für das Biosphärenreservat Val Müstair auf Südtiroler Seite auch der Nationalpark Stilfserjoch und die Gemeinde Taufers nachziehen und sich für eine Unterschutzstellung des Rambachs stark machen sollten. In Müstair wurde den Wanderern aus dem Vinschgau und der Schweiz anhand der Renaturierungs-Projekte am Rambach aufgezeigt, dass auch ökologische Projekte wirtschaftlich interessant sind und in Zukunft wohl noch interessanter werden. Binkert regte die Gründung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe ein, um gemeinsam ein grenzüberschreitendes, großes ökotouristisches Projekt auf den Weg zu bringen, das auf Vinschger Seite mindestens bis Glurns, noch besser aber bis Mals und Schluderns reichen sollte.
Großrat Georg Fallet wollte sich zwar keineswegs als Ratgeber für die zuständigen Politiker auf Südtiroler Seite in Szene setzen, berichtete aber dennoch von den guten Erfahrungen, die bisher auf Schweizer Seite mit der Rambach-Renaturierung gemacht wurden.
Fallet verwies auch auf Projekte in anderen Breichen, die über die Grenzen hinweg erfolgreich und einvernehmlich durchgeführt wurden und werden. Der Großrat wörtlich: „Wasser und Luft kennen keine politischen Grenzen.“
„Eine Kleinableitung stört die Vitalität nicht“
Prad/Taufers – Zum Thema „Rambach und Stromerzeugung“ hat sich „Der Vinschger“ auch bei Georg Wunderer aus Prad erkundigt. Mit den bisherigen Projekten, die eine Konzessionsleistung von über 3 Megawatt vorsehen und damit in die Kategorie der Großableitungen fallen, hat der Präsident der Genossenschaft Energie Werk Prad und Obmann des Raiffeisen Energieverbandes, „schon seit jeher etwas Bauchweh gehabt“. Einmal würde das Wasserkraftwerk bei der geplanten Ausbauleistung einen nicht unerheblichen Eingriff in den Flussraum darstellen und zum anderen als Großableitung bei der Konzessionsvergabe dem vollen Wettbewerb unterworfen und damit der Spekulation ausgeliefert. Zudem fragt sich Wunderer, warum sich bei diesem Projekt am Rambach auch noch die SEL AG beteiligen müsse. Dies sei völlig unverständlich, denn die SEL sei im Vinschgau unter anderem schon an der Reschenstausee-Konzession stark beteiligt und habe zudem auch Ende des Jahres 2009 die Großableitungskonzession am Marteller Stausee an sich gerissen und dabei die energiewirtschaftlichen Interessen des Tales völlig unterdrückt. „Wenn man sich schon die fetten Stücke alle schnappt, dann wäre es doch angebracht, sich nicht auch noch die Brosamen zu holen“, meint der Obmann des Raiffeisen Energie Verbandes.
Am Rambach kann sich Wunderer eine moderate Ableitung für ein lokal genutztes Wasserkraftwerk unter 3 MW Konzessionsleistung und mit einer Jahresproduktion von etwa 18 Mio. kWh, mit der über das ganze Jahr hinweg ausreichend Restwasser sichergestellt würde, durchaus vorstellen. „Ich bin überzeugt, dass man mit dem Bau einer Wasserkraftanlage in der angeführten Größenordnung die Vitalität des Bachs kaum einschränken würde und man zudem einen wertvollen Beitrag für Klimaschutz und die Entwicklung einer nachhaltigen lokalen Energieversorgung leisten könnte.“ Wäre es aber nicht besser, Energie zu sparen? Wunderer: „Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, dennoch ist aber für die Umstellung auf eine neue Energieversorgung, die auf fossile und nukleare Brennstoffe weitgehend verzichtet, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen unverzichtbar.“ Daher sei bei der Nutzung der genannten Ressourcen immer auch nach einem tragfähigen Kompromiss zwischen den Ansprüchen von Ökologie und Ökonomie zu suchen.
Jede Tonne CO2 verursacht
70 Euro an Folgekosten
„Bei einer moderaten hydroelektrischen Nutzung des Rambachs könnten mit der Erzeugung von 18 Mio. kWh Strom wenigstens 11.000 Tonnen CO2 pro Jahr und damit jährlich 756.000 Euro an ‚externen Kosten’ vermieden werden“, stellt Wunderer fest. Neueste Untersuchungen von Wissenschaftlern würden nämlich aufzeigen, dass jede Tonne CO2, die in die Atmosphäre geblasen wird, rund 70 Euro an Folgekosten (externe Kosten) verursacht, zurückzuführen zum Teil auf die von den Luftschadstoffen hergerufenen Gesundheitsschäden und insbesondere auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Natur.
Bei der Rambach-Diskussion sie eine deutliche Tendenz festzustellen, welche die hydroelektrische Nutzung des Gewässers schon a priori als grundsätzlich negativ bewerte, „ohne mögliche Potentiale für ein nachhaltiges Erschließungskonzept abzuwägen und zu überlegen.“ Immer wieder würden die auf Schweizer Seite vorgenommenen Renaturierungen am Rambach als mustergültig hingestellt. Die im ebenen Wiesengrund bei Fuldera auf einer rund 3 km langen Bachstrecke durchgeführte Beseitigung des ehemaligen Bachkanals und die erfolgte Aufweitung und Revitalisierung des Bachraumes seien sicher eine lobenswerte Initiative. Ähnliches kann sich Wunderer auch für den Abschnitt Calvenbrücke-Glurns vorstellen, „denn dort ist der Rambach wirklich nur ein Kanal.“ Auch meint Wunderer, dass die Anstrengungen der Schweizer nicht dazu verleiten sollten, dort alles in bester Ordnung zu sehen. Man könne nämlich dort in verschiedenen Seitentälern aufgrund von Ableitungen genügend Bachläufe ohne einen Tropfen Wasser finden. Dies gehöre in Südtirol der Vergangenheit an. Auch würde der Wassernutzungsplan Südtirols für neue Wasserkraftwerke die europaweit strengsten Restwasservorschriften festlegen.
„Versuchen wir also zunächst vor Ort unsere Phantasien und Kompetenzen für den erforderlichen Umbau des derzeitig verbreiteten Energieversorgungssystems einzusetzen, um Lösungen zu finden und Wege zu beschreiten, die Nachhaltigkeit und nicht zuletzt auch eine angemessene Sozialverträglichkeit sicherstellen“, empfiehlt Wunderer.
Mit einer maßvollen Nutzung des Rambachs, mit phantasievollen Renaturierungsmaßnahmen an geeigneten Bachabschnitten sowie mit einer Betriebsform, welche die am Gewässer und in dessen Umfeld wohnenden Menschen beteiligt, könnte insgesamt mehr an Nachhaltigkeit gewonnen als verspielt werden.
„Mit der SEL wird es uns ähnlich
wie mit der MILA ergehen“
Gerade im Zusammenhang mit dem Aspekt Sozialverträglichkeit teilt Wunderer die Meinung von Professor Florin Florineth, wonach die SEL vom betrieblichen Konzept her den falschen Weg gehe. Die SEL strebe ein zentralistisch organisiertes Verwaltungs- und Betriebssystem an, das in Bozen seinen Sitz habe und von dort aus geleitet werde. Der Bürger auf dem Land werde zum Zuschauer oder ohnmächtigen Konsument degradiert. Sich mit einem derartigen System zu identifizieren, falle äußerst schwer, meint Wunderer. Auch zur Reaktion von SEL-Präsident Klaus Stocker auf die Ansichten Florineths („Der Vinschger“, Ausgabe 16/2010), die SEL würde schließlich auch Arbeitsplätze für seine Studenten schaffen, stellt Wunderer fest, „dass es uns mit der SEL ähnlich wie mit der MILA ergehen wird.“ Wohl werde die SEL ein paar neue Arbeitsplätze schaffen, zwar nicht sonderlich viele, da viel Personal von den ehemaligen Betrieben zu übernehmen sei, „aber diese Arbeitsplätze sind in Bozen und nicht in der Peripherie, dasselbe ist bei der MILA passiert.“ Diese Zentralisierung habe nicht nur den Abfluss an Wertschöpfung zur Folge, sondern führe auch dazu, „dass sich die Oberländer, Marteller, Trafoier und weitere Vinschger zur Lösung struktureller Probleme, wie es sie im Vinschgau zur Genüge gibt, an die Zentrale in Bozen wenden müssen“. Warum man es von Bozen aus nicht nachhaltiger unterstützt, dass der Vinschgau sich auf der Grundlage lokal zur Verfügung stehender Ressourcen ein angemessenes Maß an sozioökonomischer Eigenständigkeit und Stabilität verschafft, dies sei für ihn völlig unverständlich.
Josef Laner