150 Jahre Bierkeller Latsch
Vom Ziegenunterstand zum Traditionslokal
1914: Bierkellerwirt Emil Pegger mit Schwägerin Olga und Nichte Rita verlassen den Bierkeller im Ziachwagele
Emil Pegger auf der Brücke über den 650 Jahre alten Mareinwaal, Bruder Erich im Eingang zum Keller, Blickrichtung Osten
1872: Elias Pegger, Erfinder des Bierkellers vor 150 Jahren
1936: Johann Pegger bestimmte fast 40 Jahre lang im Bierkeller
2022: Emil Pegger, Ur-Ur-Enkel des Bierkellergründers Elias Pegger
1974: Die erste Postkarte. Gemütlichkeit im Garten mit Kurt (stehend) und Toni Rinner (2.v.r.)
Sie haben Grund zu feiern: (v.l.) Hannes mit Alexandra, Lisi mit Toni Rinner unter dem überhängenden Felsen
2018: Zum letzten Mal. Die Pegger Thea zu Besuch bei Hannes Rinner im Bierkeller

Sonntags im Bierkeller

Einst Geheimtreff, heute Familientreff und Touristenattraktion

Publiziert in 5 / 2022 - Erschienen am 15. März 2022

Latsch - Es gibt ihn seit 150 Jahren und zu verdanken ist er den Ziegen. Ja, die Kühe des kleinen Mannes, die Goaß im Dialekt, waren die Entdecker des Latscher Bierkellers. In der größten Mittagshitze hatten sie sich immer unter einen überhängenden Felsen gedrängt. Das Verhalten der Tiere war dem „Goaßer“ nicht entgangen. Er wird gestaunt haben, dass aus engen Felsspalten am Boden kühle Luft strömte. Vom Eislöcher-Phänomen hatte der Hirte nie was gehört. Anders der Latscher Postmeister, Gastwirt „Zum Roten Adler“ und passionierte Jäger Elias Pegger († 1895), der den Platz unter dem Felsendach durch Sprengungen erweitern ließ und dort Bierfässer lagerte. 

Südtirols erster Felsenkeller

1872 – vor 150 Jahren – war die Höhle jedenfalls Südtirols erster Felsenkeller. Der überhängende Felsen wurde ausgemauert und darüber ein überdachter Unterstand geschaffen. Mitten im Sommer standen winterlich gekleidete Menschen unter dem Felsen und gaben bei Kerzenschein zuerst nur Bier und Wein, Soda-Wasser und „Kracherlen“ (Orangensaft mit Kohlensäure) aus. Die „natürliche Kühlung“ schaffte im Hochsommer zwischen 6 und 7 Grad Celsius. Auf dem Hügel dahinter entstand eine Blockhütte, die „Bierkeller Alm“, mit Schießstand und Drahtseilbahn. Damit wurden die gefüllten Bierkrüge „hin- und die leeren hergedrahtelt“. Alm und Bierkeller wurden beliebte, sonntägliche Ausflugsziele für Familien. Letzterer war auch ein bevorzugter Treffpunkt für Veranstaltungen im Sinne der Latscher Bildungsbürger. Federführend war Elias‘ Sohn Johann Pegger (*1850 - † 1936), Latscher Gastwirt, aber auch Forscher und Chronist. Seine Initiative war die jährliche Geburtstagsfeier für Kaiser Franz Josef I. am 18. August. Bald war die Rede von der „Kaiserkneipe“. 1909 wurde im „Reiseführer durch den Vinschgau“ der Bierkeller zum „Felsenkeller“ und als „Zweig-Geschäft des Roten Adlers in Latsch“ angepriesen. Auf einer Postkarte scheint der Bierkeller zusammen mit Burg und Kirchen in Latsch als Sehenswürdigkeit auf. In den Jahren des Faschismus konnte man wenigstens im Bierkeller sorglos Tirolerisch reden und singen.

Besitzerwechsel und Neustart

Nach 1945 spielte er eine wichtige Rolle als Ausflugsziel für Kriegsheimkehrer und ihre Familien. Mit der „Meliorierung“ der Mareinwiesen in den späten 1960er Jahren wurde so nebenbei auch der Bierkeller durch eine Straße erschlossen. Der Anmarsch mit vollbepacktem „Ziachwagele“ über den meist überfluteten Hohlweg am Fuße der Mareinen wurde um vieles leichter. Damals packten die Latscher Kleinkinder, Decken und „Rati“, Rettiche, auf den Wagen. Auch Käse und Brot wurden mitgebracht. Nur das Bier wurde im „Bierkeller“ frisch gezapft. Bis Anfang der 60er-Jahre waren junge Burschen erpicht, als „Kegel-Buben“ ein paar Lire zu verdienen, um noch den Kinofilm um 17 Uhr zu schaffen. Der Keller ging dann von Johann Pegger auf seinen Sohn Erich, Kaufmann und Getränkefabrikant, über. Von dessen Kindern Hansi (Getränkefabrikant), Ivo (Gastwirt), Dorothea (Geschäftsfrau) und Hugo (Gastwirt) blieb nach 1960 nur „die Pegger Thea“ als Besitzerin über. Eine Zeitlang versuchte der Sportverein Latsch unter Vizepräsident Ernst Stelzl mit der Führung des Bierkellers die Vereinskasse aufzubessern. Ein Gastspiel als Bierkellerwirte gaben auch der Wanderhändler Martin Schöpf (Butterer Martl) und Helmut Gunsch, Lamplwirt in Latsch. 1967 bot Thea Pegger ihren Bierkeller den Unternehmern Sepp Rinner (damals auch Sportvereinspräsident in Latsch) und Hermann Schöpf aus Schlanders an. Rinner, seines Zeichens Geometer, soll am Ostermontag eine Skizze des zukünftigen Bierkellers gezeichnet haben, um sie am Dienstag der Baukommission präsentieren zu können. Zuvor war am 20. Februar 1969 „ban Puzzerle“ in der Marktstraße ein von vier Familien bewohnter Hof mit Stadel und Schuppen abgebrannt. Der Unternehmer Hermann Schöpf aus Schlanders, inzwischen Mitbesitzer im Bierkeller, war beauftragt, die riesige Brandstatt in der Marktstraße zu räumen. Dabei kam ihm die Idee, nicht beschädigte Balken im Bierkeller zu verbauen. Eine neue Jausenstation entstand, urig und romantisch – so die Stimmen der ersten Gäste. 

Familienbetrieb in dritter Generation

Im Jahr 1967 übernahm Johann Rinner mit Frau Berta und Kindern Helene, Heidi, Margit, Kurt, Werner und Toni die Führung des Bierkellers. Am 12. Juni 1971 wurde der berühmte Holzgrill in Betrieb genommen, es wurden erstmals Hähnchen und Schweinshaxen gegrillt und Tiroler Marenden serviert. Herz und Hirn der aufblühenden, „gastgewerblichen Einrichtung“ war und ist bis heute Toni Rinner, damals 19 Jahre alt. Er hatte davor bereits in verschiedenen Gastbetrieben in Südtirol und Mailand Erfahrungen gesammelt. Toni‘s Menü am Tag der Einweihung des Leichtathletik-Stadions am 17. September 1972 veranlasste Landeshauptmann Silvius Magnago eine Lobeshymne auf den jungen Koch und auf den Bierkeller anzubringen. 1983 wurde Toni Rinner Besitzer des Bierkellers und führte ihn mit seiner Frau Elisabeth und später mit seinen Söhnen Andreas und Hannes, als Familienbetrieb weiter. Sein Bruder Kurt perfektionierte das Grillen der legendären „Giggerlen, Haxen und Rippelen“ und auch seine Schwester Heidi hilft bis heute mit. Es gibt viel zu tun im Bierkeller und so packte nicht nur immer die ganze Familie mit an, sondern auch viele fleißige Helferinnen und Helfer aus Latsch und Umgebung. In den Wintermonaten 1990 bis 2002 wurde der Bierkeller auch als Pub geführt. „Wir hatten regelmäßig Musiker im Haus und es wurde ausgiebig getanzt – vor allem in der Silvesternacht“, erzählt Toni Rinner. Aufgrund der stetig wachsenden Zahl der Stammgäste gab es im Jahr 2003 auf 2004 eine Erweiterung und Renovierung im traditionellen Stil. Inzwischen setzt Hannes Rinner mit Partnerin Alexandra die gastliche Tradition des ersten Südtiroler Felsenkellers in dritter Generation fort.

Über die Landesgrenzen hinaus

Über die letzten drei Jahrzehnte wurde der urige Bierkeller mit den schönen Sitzplätzen am Waldrand zu einer Latscher Attraktion. Sportgrößen, darunter Olympiasieger, Moderatoren und Minister gaben sich die Klinke in die Hand. Am 29. Juli 1999 erfuhr man aus der „Gazzetta dello Sport“, dass sich Reinhold Messner und Gustav Thöni mit SV Latsch-Präsident Franz Rinner und dessen Stellvertreter Werner Kiem im Bierkeller getroffen haben. Fußballmannschaften feierten „im Latscher Waldgasthaus“ ihre Siege. Sportvereine prämierten ihre Besten. Rad- und Motorradfahrer ersetzen die Sonntagsausflügler mit dem Ziachwagele. In der Lombardei sprach man von der „Bierkeller-Tour“ und meinte die Fahrt durchs Veltlin übers Stilfserjoch mit Einkehr im Latscher Bierkeller. Im Garten – so nennen die Betreiber den felsigen Hügel oberhalb des Bierkellers – wurden neue, lauschige Sitzplätze eingerichtet und der nahe Waldrand bietet ein Spielparadies für Kinder und Familien. Der große Saal, die Empore und das Stübele wurden zu beliebten Lokalitäten für Jubiläen, Familien- und Geburtstagsfeiern. Für Interessierte wird mit einer Bildergalerie im Lokal auf das Jubiläum „150 Jahre Bierkeller Latsch“ eingegangen. 

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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