Sprache als erster Schritt zur Integration
Publiziert in 12 / 2011 - Erschienen am 30. März 2011
Schlanders – Die Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat in den letzten Jahren ein beträchtliches Ausmaß erreicht. Von einer Randerscheinung hat sich die Migration zu einem Phänomen entwickelt, das zu einer strukturellen Veränderung unserer Gesellschaft führt.
Bildungseinrichtungen müssen neue organisatorische und didaktische Wege beschreiten, um auch Migrantenkinder und -jugendliche zu integrieren und gezielt zu fördern.
2007 hat die Landesregierung die Einrichtung sprachgruppenübergreifender Sprachenzentren beschlossen, die die Kindergärten und Schulen bei der Integration der Kinder und Jugendlichen unterstützen.
von Ingeborg Rechenmacher
Das Sprachenzentrum Schlanders, die Anlaufstelle für alle schulischen Bildungseinrichtungen im Vinschgau, wird seit Herbst 2007 von Waltraud Plagg als Koordinatorin geleitet. Sie berät die Lehrkräfte, stellt didaktische Materialien zur Verfügung und organisiert Sprachförderkurse im Netzwerk. Im heurigen Schuljahr besuchen ca. 50 Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Vinschger Schulen diese Kurse. Zudem hält Waltraud Plagg Deutschkurse für Eltern, vor allem für Mütter.
Dem „Vinschger“ hat sie erzählt, wie Spracherwerb erfolgt, wie der Sprachunterricht abläuft und wie Migranten-Eltern mit der neuen Situation umgehen.
„Der Vinschger“:Wie erfolgt der Spracherwerb?
Waltraud Plagg: Der Spracherwerb erfolgt nicht bei jedem Kind gleich. Wichtig ist am Anfang die soziale Integration. Vor allem Kinder aus weit entfernten Ländern haben oft einen so genannten „Kulturschock“, sie haben viele Ängste und Unsicherheiten. Hier ist es Aufgabe der Schule, ihnen Sicherheit zu geben und das Gefühl, willkommen zu sein, was nicht immer leicht ist. Wir unterscheiden den gesteuerten, systematischen Spracherwerb, der durch Unterricht erfolgt und den ungesteuerten, von Sprachwissenschaftlern als „Sprachbad“ bezeichnet; d.h. die Sprache wird erworben durch das Leben beispielsweise in einem deutschen Umfeld. Je älter die Kinder sind, desto mehr braucht es neben dem Sprachbad auch systematische Sprachförderung. Bei vielen Kindern ist am Anfang eine „stumme Phase“ ganz natürlich, die auch mehrere Monate dauern kann. Sie nehmen die Sprache passiv auf und sprechen erst, wenn sie sicher sind. Es hängt auch davon ab, ob es Verwandtschaften zwischen den Sprachen gibt. Es ist beispielsweise für einen Rumänen viel leichter, Italienisch zu lernen als Deutsch. Das Serbokroatische hat keine Artikel, da ist es natürlich schwer, das System der deutschen Artikel zu lernen.
Wann funktioniert die Alltagssprache?
Waltraud Plagg: Manche lernen sehr schnell, manche auch sehr langsam. Bei den meisten funktioniert die Alltagskommunikation ungefähr nach einem Jahr. Für den Schulerfolg reicht dies aber nicht aus, deswegen ist eine gezielte Förderung in den Bereichen Schreiben, Textverständnis und Fachwortschatz wichtig.
Wie läuft der Sprachunterricht ab?
Waltraud Plagg: Die Sprachenzentren haben den Auftrag, Netzwerke zu bilden, auch um finanzielle Mittel zu sparen. Es gibt an der HOB Schlanders zwei Netzwerke, in dem Jugendliche der HOB Schlanders, der LESO Mals, der Berufsschule Schlanders und der MS Latsch gemeinsam Sprachunterricht erhalten. In verschiedenen Mittelschulen bietet das Sprachenzentrum im Rahmen der Wahlpflicht Kurse an. Die Sprachlehrerin am Sprachenzentrum ist derzeit Martina Tschenett, die eine Zusatzausbildung im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ absolviert hat. In der Peripherie ist es nicht immer möglich, in Netzwerken zu arbeiten. Da bekommen die Schulen zusätzliche Stunden für die Sprachförderung.
Wie gehen Migranten-Eltern mit diesen Angeboten um?
Waltraud Plagg: Wie alle Eltern haben auch die Migranten-Eltern die Hoffnung, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung und eine sichere berufliche Zukunft haben. Sie sind in der Regel sehr dankbar für die Unterstützung. Ein Problem bereiten manchmal kulturelle Unterschiede, zudem hat die Schule nicht in allen Ländern den gleichen Stellenwert wie bei uns. So ist Elternarbeit in vielen Ländern völlig unbekannt; diese Eltern sind nicht gewohnt, Einladungen zu Sprechstunden oder Elternabenden zu bekommen. Werden sie von der Schule eingeladen, ist das oft mit Angst besetzt. Wenn es Probleme gibt, ist es wichtig, dass die Schule das Gespräch sucht. Wenn die Sprachkenntnisse fehlen, kann das Sprachenzentrum mit Mediatoren helfen.
Oder Eltern besuchen auch einen Sprachkurs?
Waltraud Plagg: Ja, genau. Ich sage den Müttern immer wieder, dass es wichtig für ihre Kinder ist, dass sie Deutsch lernen. Heuer werden in Schlanders drei Kurse angeboten, einer für Anfänger und zwei für Fortgeschrittene, die von Eltern aus dem ganzen Vinschgau besucht werden. Die Kurse sind am Vormittag und wenn nötig, organisieren wir auch eine Kinderbetreuung.

Ingeborg Rainalter Rechenmacher