Vergessene Welt
Wie viele weitere Bauern auf dem Lichtenberger Berg ist Konrad Riedl ledig geblieben. Einblicke in eine bergbäuerliche Welt hoch über dem Tal.
LICHTENBERG BERG - Eine schmale, aber asphaltierte Straße führt hinauf auf den Lichtenberger Berg. Dort, in Abgeschiedenheit und uriger Bergbauernidylle findet man sie, die Lichtenberger Höfe. Das idyllisch wirkende St. Josef-Kirchlein befindet sich im Zentrum der Prader Fraktion Lichtenberg Berg. Wenn man es überhaupt als Zentrum bezeichnen kann. Vielmehr sind die Lichtenberger Höfe eine Reihe verstreut am Hang liegender Bauernhöfe. Fleißige Bauern bewirtschaften diese in schwieriger Lage. Einer davon ist Konrad Riedl. Ein sympathischer Landwirt, arbeitsam und bescheiden. „Schon wieder ein Medienmensch“, lacht er. Erst kürzlich wurde eine Reportage über die „Ledigen am Lichtenberger Berg“ für Rai Südtirol produziert. Ein Jahr lang begleiteten die freischaffende Journalistin Astrid Kofler und Günther Neumair immer wieder die Bergbauern am Lichtenberger Hof. Von denen ein Großteil ledig geblieben ist. Der Film liefert einen Einblick in eine Bergbauernwelt auf rund 1.500 Metern Höhe. In die Welt von Konrad Riedl.
„So lange es halt geht“
„Wir sind vom Aussterben bedroht“, erzählt Riedl im Gespräch mit dem der Vinschger. Für das Interview legt er eine kurze Pause bei den Holzarbeiten ein. „In der Küche ist es halt doch gemütlicher“, bittet mich der allein lebende Landwirt in sein Haus. Konrad Riedl selbst, Jahrgang 1951, ist eigentlich bereits in Pension, bezieht eine kleine Rente. Die Arbeit, am heimischen Larchhof, ist aber nach wie vor sein Leben. Und wird es auch immer sein. „Immer weitermachen. So lange man es halt noch irgendwie schafft. Was dann kommt, wer weiß“, so Riedl. Er selbst weiß es nicht, wie es mit „seinem“ Bergbauernhof, der auf eine lange Tradition zurückblickt, einmal weitergeht. Aufgewachsen mit zwei Schwestern und einem Bruder, habe es sich ergeben, dass Konrad den Hof übernehme. Nach der Grundschule arbeitete er auf Almen und als Hilfsarbeiter in einer Zimmerei im Tal, später dann auf dem heimischen Hof. „Meine Eltern sind dann gestorben, ich bin übriggeblieben“, erzählt er. 1977 wurde das Haus neu gebaut, 1987 der Stadel. Seine Geschwister leben schon lange im Tal, sind verheiratet. Die eigene Hochzeit hat Konrad Riedl, wie viele weitere Bergbauern auf den Lichtenberger Höfen, nicht erlebt. „Es hat sich halt nicht ergeben. Nun hat es sich erledigt“, sagt der Bergbauer.
Viele Höfe, wenig Kinder
Insgesamt 18 Höfe gibt es auf Lichtenberg Berg. 40 bis 50 Leute leben hier, verstreut am Hang. Bis in die 1990er Jahre gab es sogar noch eine Schule. Früher, als Konrad Riedl noch im Schulalter gewesen sei, gab es hier am Lichtenberger Berg noch über 30 Schüler. Derzeit leben nur mehr zwei Kinder auf den Lichtenberger Höfen. Eine Bar gibt es nicht, einen Laden ebenso wenig. Gesellschaftliches Leben spielt sich kaum auf dem Hang ab. Vielmehr widmen sich die fleißigen Bauern ihrer Arbeit. Für Riedl etwa beginnt der Tag um 6 Uhr morgens mit dem Melken der Kühe. Sieben Milchkühe nennt der Bauer derzeit sein Eigen, dazu acht Jungrinder und ein Kalb. Zudem einige Hühner und einen Hahn. Als Haustier hält er eine Katze. Zwei Kälber habe der Bergbauer kürzlich verkauft. Als Preis für ein Kalb seien 40 Euro erzielt worden; Riedl zeigt die Rechnung und betont: „Da hat man nicht mal die Kosten drinnen, an die Arbeit darf man gar nicht denken“. Aber, hadern mit der Arbeit, mit dem Schicksal, mit dem Leben, das tut Konrad Riedl nie. Er lacht, ist zufrieden, mit sich und der Welt.
„Hat noch keinem geschadet“
„Die Arbeit ist schon oft anstrengend. Vor allem alleine. Aber Arbeit hat noch keinem geschadet“, sagt er. Und, seine Arbeit, die macht er mit Freude. „Die Arbeit in der freien Natur, die Arbeit mit den Tieren, das ist schon etwas Schönes“, berichtet der Bergbauer. Die Milch, die er an Mila liefert, muss um halb 8 „pronto“ sein, um 8 gönnt sich Riedl die Nachrichten und ein Frühstück. Einen großen Teil des Vormittags verbringt der Landwirt mit Stallarbeit. Kommt er von der Arbeit nach Hause, gibt es für ihn kein fertiges Essen auf dem Tisch. Dennoch kocht der 67-Jährige abwechslungsreich. „Mal ein Gulasch, mal Nudeln, mal andere Gerichte. Kochen tu ich schon“, erzählt er. Am Nachmittag gelte es dann wieder Stallarbeiten sowie weitere anfallende Arbeiten zu erledigen. Auch um das Heu und das Holz kümmere er sich stets selber. „Eine moderne Heizung habe ich hier nicht, ich heize mit dem Herd und dem Kachelofen“, sagt Riedl. Und dennoch, oder gerade deshalb, fühlt man sich auf seinem Bergbauernhof wohl, verspürt eine angenehme Wärme. Obwohl der Tag früh beginnt, endet er meist spät für Riedl. Um 18 Uhr gibt es zwar eine „Marende“, dann gehe es jedoch wieder in den Stall. Manchmal auch bis 21 Uhr. Zudem gelte es noch verschiedenste Hausarbeiten zu erledigen.
„Haben alles, was wir brauchen“
Freilich, es sei nicht immer einfach. Die viele Arbeit, die Preise für die Milch, reich werde man damit nicht. „Wir Bergbauern müssten auch mal streiken. Aber die wissen doch alle, wir machen sowieso immer weiter“, so Riedl. Es passe aber, „ich komme durch, viel Geld brauchen wir ja nicht“, sagt der Landwirt bescheiden. Man sei Selbstversorger, „wir haben alles, was wir brauchen“, bringt es Riedl auf den Punkt. In die Diskothek gehe man ohnehin nicht mehr, lacht er. Früher sei er schon auch in die Disko gegangen. Nach Prad, in die Disko Ladum oder in den Bierkeller. „Damals gab es noch keine Straße hinauf zu den Höfen, wir mussten stundenlang zu Fuß heimgehen“, blickt er auf alte Zeiten zurück. Im Urlaub sei er hingegen noch nie gewesen. „In der Schweiz war ich einmal, aber zum Arbeiten auf Almen“, erinnert er sich. Überhaupt kenne er das Wort Urlaub nicht. „An 7 Tagen die Woche wird gearbeitet, man kommt so nicht weg“. Ob er etwas vermisse? „Nein, ich habe ja das ganze Jahr über Urlaub am Bauernhof“, lacht er. Immerhin, vor allem in den Sommermonaten nehme er sich sonntags noch Zeit für Wanderungen und Bergtouren. In den wärmeren Monaten könne er auch auf wertvolle Hilfe setzen. Der „Verein Freiwillige Arbeitseinsätze“ vermittle immer wieder Helfer, die einige Zeit lang zumindest bei der anstrengenden Heu-Arbeit mit anpacken.
Kein Stadtmensch
Ins Tal fahre er höchstens einmal die Woche, zum Einkaufen. „Das meiste habe ich zwar hier, aber Brot brauche ich schon. Und vielleicht auch mal ein Fläschchen Wein“, so Riedl. Ausflüge gebe es selten, vielleicht mal ins Tal zu Märkten wie dem Landsprachmarkt in Goldrain oder dem „Sealamorkt“ in Glurns. Auch zum Einkaufen fahre er ab und an ins nahe gelegene Glurns. „In die Stadt“, wie er es nennt. „Und Glurns ist auch die einzige Stadt, wo ich mich noch hinwage, in Meran oder so wäre ich ein armer Heiter“, gesteht er. Oben, in der Berglandschaft, da fühle er sich jedoch stets sicher, sei es mit dem Pkw oder dem Traktor. Überhaupt fühle er sich hier wohl. Denn hier, auf Lichtenberg Berg, ist seine Welt.
INFO - „Eine Welt wie früher – Die Ledigen vom Lichtenberger Berg“
Hoch über Lichtenberg befinden sich einige Höfe. Kinder gibt es hier kaum mehr. Viele Bauern und Bäuerinnen sind ledig geblieben, sie verrichten ihre tägliche Arbeit, füttern ihr Vieh meist dreimal am Tag, leben im Rhythmus der Jahreszeit. Vielleicht hat er vor lauter Arbeit vergessen, sich um eine Bäuerin umzusehen, meint einer. Zum Heiraten braucht es zwei und keine habe sich dazu gefunden, meint ein anderer. Sie habe der sterbenden Mutter versprochen, bei ihren zwei ledigen Brüdern zu bleiben, meint eine dritte. Astrid Kofler und Günther Neumair haben mehrere der Ledigen vom Lichtenberger Berg ein Jahr lang begleitet. Daraus wurde eine Reportage, in der es viel mehr als nur um verpasstes Liebesglück und Familiengründung geht, vielmehr ist es die Dokumentation einer bergbäuerlichen Welt, wie es sie immer noch gibt, viele aber für kaum möglich halten. Der Film wird am 18. März auf Rai Südtirol ausgestrahlt.
