Sind wir jetzt Therme?
Andreas Heidegger (links) und Walter Platzgummer vor Gesuchen, Berichten, Karten und Skizzen zu Kochenmoos II.

Vom Bauernbadl zum Thermalbad

Publiziert in 10 / 2016 - Erschienen am 16. März 2016
Aus der Wellness-Gemeinde Naturns könnte eine Thermalgemeinde werden. Der experimentelle und bürokratische Weg dahin ist lang und mühevoll. Naturns - Die Jahresversammlung des Tourismusvereins ­Naturns war beim Ausklingen. Vor den Grußworten der Ehrengäste stellte Tourismusdirektor Ewald Brunner noch das Strategiepapier 2020 vor. Als dann unter Vision „Thermalgemeinde ­Naturns für aktive Genießer und Familien“ eingeblendet wurde, war es das Stichwort für die Nachricht des Tages. Ein verschmitzt lächelnder Bürgermeister Andreas Heidegger trat ans Mikrophon und zog ein zerknittertes Schreiben hervor. Der Stern der Republik und der fette Schriftzug „Ministero della Salute“ wiesen das Papier als etwas Wichtiges aus. „Ich habe das Schreiben immer bei mir getragen. Irgendwie kam es mir fast unwirklich vor; ich wollte mir sicher sein, dass es jetzt wirklich die langersehnte Nachricht ist“, meinte er mit einem erleichterten und fast triumphierenden Ausdruck. Er zitierte aus dem italienischen Text den Artikel 3 des Dekretes: „Sono riconosciute le proprietá terapeutiche...“ Die therapeutischen Eigenschaften des natürlichen Mineralwasser Kochenmoos II, das auf dem Territorium der Gemeinde Naturns entspringt, seien anerkannt und geeignet für „Bade- und Schlammtherapien, für die Behandlung und Rehabilitation rheumatischer, orthopädischer, und traumatologischer Erkrankungen des Bewegungsapparates“. Zuerst war der Tunnel Die Vorgeschichte der Ent­deckung und der jahrelangen Überprüfung mit Proben, Berichten, Gutachten und Unter­suchungen lag kiloschwer in Form eines Aktenordners auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters. Der musste einem unwissenden Vinschger erst erklären, dass es nicht darum geht, das „Bauernbadl von Kochamous“ neu zu beleben, sondern dass es sich in diesem Fall um ein neue Quelle handelt, benannt „Kochenmoos II.“ Bürgermeister Heidegger wühlte ein wenig im Papierstapel und zog ein Orthofoto des Juvaler Burgberges hervor und blickte auf eine fast 15 jährige Geschichte zurück. Sie begann mit dem größten Straßenbauprojekt, das zwischen 2000 und 2003 im Vinschgau über die Bühne gegangen ist: die Umfahrung von Naturns mit dem Bau zweier Tunnels. „Es waren etwa 300 m des gut 900 m langen Stabener Tunnels gebohrt“, erzählte Heider, „als plötzlich Wasser aus dem Boden schoss, warmes Wasser, genau genommen 17,4°C warm. Man hat herausgefunden, dass es aus mindestens 200 m Tiefe stammen muss. Ich war damals Umweltreferent und fürs Trinkwasser zuständig und so viel Wasser - es wurden 5,7 Liter pro Sekunde gemessen - konnte man am Sonnenberg nicht einfach abfließen lassen. Wenn man noch bedenkt, dass Naturns eine Jahresdurchschnittstemperatur von 10,4° C erreicht, dann kann man ermessen, was ein 17,4° C warmes Wasser bedeutet.“ Dass sich Bürgermeister Walter Weiss damals weniger über das Wasser gefreut, als mehr um die Baufortschritte gebangt hatte, war zu begreifen. Es sei den Verantwortlichen der Tunnelbauer und dem Entgegenkommen der Landestechniker des Amtes für Gewässernutzung ­Wilfried Rauter und Thomas Senoner, zu verdanken, dass die Quelle gefasst und das Wasser über ein Inox-Rohr an den östlichen Tunnelausgang geleitet wurde, meinte Heidegger. Danach ist das Thema „Thermalquelle“ etwas eingeschlafen. Die Gemeinde hatte andere Probleme. Fachleute am Ball Erst als das alte Badhaus ­Kochenmoos abgerissen wurde und ein Hotelier aus der „Wellness-Gemeinde“ Naturns Interesse am Stabener Mineralwasser zeigte, kam wieder Bewegung in die Angelegenheit. Inzwischen wurde Kochenmoos gemäß Beschluss der Landesregierung wieder als „Bauernbadl“ klassifiziert und aufgewertet. Über die Vertragsurbanistik erwarb die Gemeinde das Grundstück mit der Quelle und machte daraus im Jahre 2012 eine „Ruheoase“ mit Teich und Trinkbrunnen. Um das „warme Wasser aus dem Sonnenberg“ begann sich eine kleine Interessensgruppe um Bürgermeister Heidegger, seinen Stellvertreter Helmut Müller und Tourismusdirektor Ewald ­Brunner zu befassen. Man wollte dem Ursprung und vor allem der Beschaffenheit des Wassers auf den Grund gehen. Dazu hieß es, sich durch das Gewirr der notwendigen Untersuchungen und Genehmigungen zu arbeiten. Über Geometer Egon Engl und die Thermen Meran kam der Fachmann für „Thermal Medizin“, Professor Giuseppe ­Nappi aus Mailand ins Spiel. Der ­empfahl dann das „Dipartimento di Medicina Clinica ad Indirizzo Specialistico“ der Universität ­Siena. Unter der Federführung der Rheumatologin Antonella Fioravanti wurden Hunderte von Proben untersucht und mehr als 80 Heilwasser mit dem Wasser aus Kochenmoos II verglichen. Der Naturnser Bauhof-Leiter Walter Platzgummer erinnerte sich: „Es war wie bei der Mordkommission. Da kamen 6 bis 8 Personen mit weißen Handschuhen und Stiefeln und hatten mindestens P20 Flaschen dabei.“ „Beinahe wäre alles in die Hosen gegangen“, meinte Bürgermeister Heidegger. Man habe einen 2. Schacht bauen müssen, um das Wasser wirklich aus dem Tunnel zu bringen. Da sei Regenwasser eingedrungen und eine Probe habe Verschmutzungen angezeigt. Platzgummer konnte den Schaden beheben und wieder eine „saubere Verbindung“ herstellen. Die Auswertungen erschienen am 30. Juni 2014 als umfangreiche Broschüre unter dem Titel „Relazione Clinico-Bibliografica sulle Possibilitá ­Terapeutiche ­dell‘Acqua usw.“ Daraufhin wagte man es, am 3. September 2014 beim „Ministero della Salute“ um die Anerkennung anzusuchen. Am 9. Oktober folgte der Bericht der Landesumweltagentur. Am 14. Dezember 2015 wurden die letzten Unterlagen, ergänzt vom hydro-geologischen Bericht des Geometers Konrad Messner, eingereicht. Am 16. Februar fiel in der „III. Sektion des Obersten Sanitätsrates“ die Entscheidung. Am 3. März hätte Bürgermeister Andreas Heidegger beinahe einen Freudensprung gemacht. Aber es gibt im Dekret einen 2. Artikel, der schreibt vor, dass es eine zweijährige, rigoros kontrollierte und begleitete Experimentierphase geben muss. Erst dann würde der Rat die „vorliegende Anerkennung“ bestätigen. Günther Schöpf
Günther Schöpf
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