Vom Projekt Leben am Berg zum Projekt Erlebnisschule
Publiziert in 33 / 2010 - Erschienen am 22. September 2010
Langtaufers – Was haben diese Bäuerinnen und Bauern an sich, dass sie so gut ankommen? Acht Jahre lang stellte sich Reinhard Zangerle als Direktor des Schulsprengels Graun und damit der Erlebnisschule Langtaufers diese Frage. Seit 10 Jahren stellen sich zahllose Lehrer, Eltern und Betreuer dieselbe Frage. Im Schuljahr 2000/2001 haben sie 1.513 Schüler und im Jahr 2009/2010 schon weit über 2.000 Schüler ins Tal begleitet und sie der Natur und den „Toulern“ überlassen.
Günther Schöpf
Direktor Reinhard Zangerle hat die Frage in der Garage der Familie Fliri, die zum Kulturhaus umgewandelt worden war, so beantwortet: „Die Menschen hier im Tal sind bodenständig, sie sind authentisch.“ Seine Nachfolgerin im Schulsprengel nach einem einjährigen Zwischenspiel von Monika Thaler, Sonja Saurer aus Prad, meinte dazu: „Durch den direkten Kontakt zu den Menschen im Tal werden die Kinder sensibilisiert für Landschaft und Landwirtschaft. Anpacken und Zugreifen ermöglichen Begreifen.“ Die beiden Direktoren gehörten zu der langen Reihe von Ehrengästen, die die Koordinatoren der Erlebnisschule, Wolfgang Thöni aus Zerkaser und Helga Stecher aus Reschen, nach Grub in Langtaufers eingeladen hatten, um „10 Jahre Erlebnisschule Langtaufers“ zu feiern. Der Einladung dieser „einzigartigen Schule, auf die wir stolz sind“ – wie der Grauner Bürgermeister Heinrich Noggler es ausdrückte – waren Landesrat Richard Theiner und Landtagsabgeordneter Sepp Noggler gefolgt sowie Alt-Landesrat Otto Saurer, Schulamtsleiter Peter Höllrigl, der Leiter des Pädagogischen Instituts Rudolf Meraner, die aus dem Vinschgau stammende Direktorin der Fachschulen in Dietenheim und Salern Juliane Gasser Pellegrini, der Präsident der Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung Josef Hofer, sein Geschäftsführer Friedl Sapelza, die Vizebürgermeisterin aus Schluderns Brigitta Stecher, Vertreter des früheren Gemeinderates unter Alt-Bürgermeister Albrecht Plangger und des seit kurzem amtierenden unter Bürgermeister Heinrich Noggler und seiner Stellvertreterin Karoline Gasser. Dass der Ruf der Erlebnisschule Langtaufers aber weit über das „Toul“ und über die Landesgrenzen hinausreicht, zeigte die Präsenz der Naturpädagogin Susanne Summa aus Götzis in Vorarlberg und des Vertreters der bayerischen Schullandheimpädagogik, Hans Heinrich Häberlein aus Nürnberg. Gekommen waren aber auch Direktoren der benachbarten Schulsprengel und ehemalige Lehrkräfte, darunter als Mann der ersten Stunde Helmut Schönthaler, derzeit Vorsitzender der Umweltschutzgruppe Vinschgau. Zusammen mit Wolfgang Thöni, damals Lehrer für Mathematik und Naturkunde in Mals, hat er, der Lehrer für Geschichte und Geographie an der Mittelschule St Valentin, die zwei „Probeläufe“ im Mai 2000 bewältigt und mehr als einmal selbst Putzkübel und Besen in die Hand genommen, um das Schulhaus zu säubern. Am Projekt „Leben am Berg“ – wie es damals hieß – hatte vor 10 Jahren auch Rudolf Niederbacher mit einer 2. Mittelschulklasse aus Schenna teilgenommen. Seither war er 12 Mal mit Schulklassen in Langtaufers; von ihm oder von seinen Schülern stammt auch der Begriff „Erlebnisschule“. Zum 13. Mal kam Niederbacher zur Jubiläumsfeier am letzten Samstag und brachte zwei Schüler „der ersten Stunde“ mit. Als 11-Jährige hatten sie im Jahr 2000 die Langtauferer schätzen gelernt und als 21-Jährige dankten sie den „Toulern“ für die Gastfreundschaft. Niederbacher meinte über sie: „Wenn sich die ‚Frotzen‘ damals nicht richtig benommen hätten, hätte es vielleicht gar keine Erlebnisschule gegeben“ und richtete wie Direktor Zangerle einen flammenden Appell an Schulamtsleiter und Politiker: „10 Jahre Projekt ‚Erlebnisschule Langtaufers‘ sind viele Jahre zu viel. Macht bitte aus dem Projekt eine dauerhafte Einrichtung.“
Doch im Mittelpunkt standen in der „Kulturhausgarage“ von Grub nicht die Ehrengäste, sondern die Langtauferer selbst, die musizierenden Zwillinge Daniela und Sabine Joos, die „Pfeiler der Schule“ Wolfgang Thöni und Helga Stecher, die Bauern, darunter der Wiarta Kassl (Kassian Patscheider) aus Pratzen, der sich mit 88 glänzend unterhielt, während die erste Mitarbeiterin und Spezialistin fürs Kübel-Treiben, Ida Patscheider Fliri, 84, dem Rummel lieber fern blieb. Mit viel Herz und noch mehr Gemüt und teilweise in Reimform erzählten Andreas Fliri, Kassian Patscheider (Gruabr Kassl), Siegfried Patscheider, Erwin Federspiel, Maria Eller, Erika Thöni, Karl Thöni, Bernhard Stecher, Martha Köllemann, Josef Plangger und Hubert Köllemann von der „tollen Wolle“, von der „Milchstraße“ aus Rahm und Butter, vom Kübel Treiben, vom „Striglen“ der Kühe (Säubern mit Bürste), von „Petschelenkearn“ (Samen der Zirbelkiefer), vom Brotbacken, vom Honig Machen, vom Holz Bearbeiten, vom Klettern, vom Nachtwandern, vom Hornschlittenfahren, vom „Muas“ Essen auf der Ochsenbergeralm und konnten sogar „Schnee von heute“ unter die Zuschauer werfen. Edmund Patscheider vom Riglhof enthüllte als Vertretung der Zimmervermieter ein Erfolgsgeheimnis der Erlebnisschule: „Das Wichtigste war, dass sich die Kinder als Gäste willkommen fühlten.“
Moderator Wolfgang Thöni dankte allen, die zum Fortbestand der Schule beigetragen hatten, und die Lehrerin Zita Paulmichl ließ dazwischen die Grundschüler singen und erzählen. Bevor man sich mit dem köstlichen Buffet beschäftigte, ließ Koordinator Thöni Pfarradministrator Norbert Wilhalm den noch nicht ganz fertig gestellten, von der Gemeinde Graun finanzierten Spielplatz segnen.
So kam alles ins Rollen
„In a 92 war es…“ begann der ehemalige Gemeindereferent Florian Eller zu erzählen, als in „Innerkirch die Schule aus Mangel an Kindern“ geschlossen worden war. Er, Bürgermeister Albrecht Plangger, der Bauernbundobmann Kassian Patscheider und Oswald Thöni, Gemeinderat und Senn aus Grub, wollten unbedingt das leer stehende Schulgebäude in Grub einer Verwendung zuführen. Da sei man mit dem damaligen Bezirksobmann des Bauernbundes, Franz Tappeiner aus Galsaun, ins Gespräch gekommen und der habe auf einen Bauernhof in Westendorf bei Kitzbühel hingewiesen, den man sich anschauen sollte. „Darauf sind wir wie Geheimagenten hingefahren und haben uns umgesehen“, erzählte Eller. Danach habe man in Bozen alles für ein ähnliches Projekt mobilisiert. Aber die Frage der Trägerschaft habe Kopfzerbrechen bereitet. Eine Lösung sei dann Direktor Josef Hofer und seinem Stellvertreter Gustav Tschenett „in dr Sportschual drnied“ eingefallen. Über das Leader-Programm und dem Zentrum für Weiterbildung und Regionalentwicklung konnte das Projekt „Leben am Berg“ begonnen werden. Wie ein Abenteuerroman hörte sich das Ringen um die Finanzierung aus dem Munde von Direktor Zangerle an. Das Abklappern der Landesräte und der Amtsdirektoren habe erst ein Ende gehabt, als sich das Schulamt der Sache annahm. Inzwischen ist die Erlebnisschule ohne Zweifel ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Langtaufers, der durch Erlebnistage, Sprachferien und Fortbildungskurse die Auslastung für acht Zimmervermieter und zwei Gasthäuser steigert. Heuer erwartet die Erlebnisschule den 20.000. Schüler.

Günther Schöpf