Grenzbefestigungen verbinden Grenzgänger
Die Grenzgänger Albrecht Plangger und Hermann Klapeer (von links) mit dem Schlüssel zum „Alpenwall“ an der „falschen Etschquelle“.

Was früher trennte, ermöglicht jetzt ­gemeinsame Identität

Publiziert in 11 / 2009 - Erschienen am 25. März 2009
Weil der Duce im Süden seit 1938 dem Führer im Norden nicht traute, ließ der im Süden klammheimlich einen Verteidigungswall errichten. Mussolinis „Vallo Alpino Littorio. Sbarramento Adige - Resia“, der Alpenwall mit dem Befestigungsabschnitt Etsch-Reschen, war Teil einer Grenzbefestigung entlang der Grenze zu „Großdeutschland“. 466 Jahre zuvor hatte Erzherzog Sigmund das Bollwerk „Sigmundseck“ am Innübergang „Finstermünz“ gegen die abtrünnigen Bündner errichtet. Sein Nachfolger ­Kaiser Maximilian I. hat mit dem Klausenturm das Festungswerk gegen die in­zwischen auch noch ung­läubigen Eidgenossen erweitert und im Westen verstärkt. Der Klausenturm und die Panzersperren mit Bunker sind samt ihrer Landschaft seit März 2008 Objekte eines grenzüberschreitenden Interreg-Projekts. Dafür haben sich zwei ­Schweizer, drei Nordtiroler und eine Südtiroler Gemeinde stark gemacht. von Günther Schöpf Was der Grauner Bürger­meister bei der Jahresversammlung des Vereins Altfinstermünz im Nauderer Schützenheim humorvoll zum Besten gab, hatte vor fast einem Jahr einen Stab von Experten im Regionalentwicklungszentrum Landeck (regioL) über Wochen in Atem gehalten und dem Nauderer Alt-Bürgermeister und Vorsitzenden des Vereins einige Fältchen mehr eingegraben. Albrecht Plangger hatte im voll besetzten Schützensaal die Schmunzler auf seiner Seite, als er von seinem eher unfreiwilligen Start als „kommunaler Bunker­manager“ erzählte, von den ersten „Informations- und Erkundungsfahrten“ nach Franzensfeste mit Hermann Klapeer, von den Bemühungen und dem Formulierungs­geschick des regioL-Geschäftsführers Gerald Jochum und der Interreg-Koordinatorin Gudrun Neurauter und schließlich von der Suche nach einer Übersetzerin. Irgendwo in den Bergen am Como-See habe man am 25. April eine „versprengte Südtirolerin“ gefunden, die die 30 Seiten des Antrages übersetzt habe; am 29. April war Abgabetermin. Diesseits und jenseits der Wasserscheide war gleichzeitig Hermann Klapeer bei seinen Schweizer Partnern unterwegs, um Unterschriften und persönliche Daten einzuholen, und bei Albrecht Plangger, um Unterlagen einzusammeln. Wahrscheinlich hat man vor lauter Schnee zwischen Nauders und Graun den „Erleich­terungsschnaufer“ nicht gehört, als am Mittwoch 30. April 2008 Gudrun Neurauter mitteilen konnte: „32 Antragsseiten sind in Italienisch und in Deutsch verfasst online an das ‚gemeinsame Technische ­Sekretariat der Abteilung Europa Angelegenheiten im Amt für europäische Integration‘ nach Bozen geschickt worden.“ In der Interreg-Sprache hat sich der Verein Finstermünz unter dem Vorsitz von Hermann Klapeer zum „Lead-Partner“ (LP) erklärt, zuständig für Management und Umsetzung, die Gemeinde Graun mit Bürgermeister Albrecht Plangger als Projektpartner (P), die Engadiner Gemeinden Tschlin mit Gemeindepräsident Notegen Men, Samnaun mit Präsident Hans Kleinstein, aber auch der Tourismusverband Samnaun mit Obmann Christoph Kunz zu „assozi­ierten Partnern“ (AP), die einen Beitrag zur Umsetzung leisten, ohne dass für sie EFRE-Mittel ­(Europäischer Fonds für Regionalentwicklung) fließen. Koordinatorin Neurauter hat die Aufforderung im Antrag „Definieren Sie die konkreten Ziele des Projektes“ eingeleitet mit: „Im Gesamtprojekt Er­lebnis-Burg Altfinstermünz und Bunkeranlage Graun solle es zu einer Revitalisierung der Fortifikationsanlagen im Grenzgebiet kommen“ und abgeschlossen mit: „Diese historisch-kulturell interessanten Befestigungsanlagen stärken die gemeinsame kulturelle Identität der Bevölkerung in diesem Raum.“ Die Aktivitäten sind dann „in modo sintetico“, zusammenfassend, in WP1 bis WP3 eingeteilt, in „Workpackages“, Arbeitspaketen sozusagen. WP1 sieht die Sanierung von Dach, Fassade, Böden usw. am Klausenturm und des Bunkers Nr. 20 „Vocca“ vor. Die Zusammenarbeit in dieser Phase würde im Austausch von freiwilligen Helfern und von Methoden und Wissen (Know-how) bestehen. WP2 betrifft die Installation eines Themenweges mit Beschilderung, die Ausarbeitung eines grenzüberschreitenden Schulprogrammes und einer Ausstellung über historische Grenzbefestigungen, die Ausarbeitung von Wanderwegen und Radrouten, die Erstellung eines Kulturführers zum ­Thema historische Grenzbefestigungen am Reschenpass, in Altfinstermünz, Festung Nauders und Bunkeranlagen in Plamort-Reschen. WP3 umfasst die grenzüberschreitende Ausbildung für Führer. Das Antragsformular fordert dann in bestem Bürokratendeutsch auf, „die angestrebten Ergebnisse (outputs/autcomes/impacts) zu quantifizieren und zu beschreiben“. Die Projektsteller haben im selben Ton geantwortet: „Ein wesentlicher Output wird die Nutzbarmachung der historischen Befestigungsanlagen für die Zielgruppen, vor allem Einheimische, Familien, Kinder und Jugendliche sein. Es wird die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte und Kultur ermöglicht. Durch die Ausarbeitung eines Schulprogrammes wird eine Aufwertung des gemeinsamen Kulturerbes erreicht und die Bewusstseinsbildung der gemeinsamen Geschichte gefördert. Ein weiterer Output kann die gemeinsame Führerausbildung als Initiative zur Erreichung eines einheitlichen Standards gesehen werden.“ Gefragt wurden die Antragsteller in Graun und Landeck nach nachhaltigen ökologischen, ökonomischen und sozio­kulturellen Auswirkungen des Projektes und aufgefordert, sie „bei positiven und spezifischen Auswirkungen“ zu beschreiben. Dabei bezogen sich die Antragsteller auf die Vernetzung der Trocken­rasengebiete im Grenzraum Italien-Österreich-Schweiz, auf das Hochmoor Plamort und sahen einen „Schritt zur Belebung der Region“, zur Arbeitsplatzsicherung und einer touristischen „Inwertsetzung“ mit „wirtschaftlicher Nachhaltigkeit“. Soziokulturelle Auswirkungen hätten „die Burgen und Befestigungsanlagen mit ihren Museen im Grenzgebiet“ als wichtigste Träger der thematischen Arbeitsgruppe „Cultura Raetica“. Sie würden antike Verkehrsverbindungen (Via Claudia Augusta) attraktiv machen, die Museen im Grenzgebiet kurz schließen und die „Burgencard Terra Raetica“ auf alle Schlösser und Burgen des Gebietes ausdehnen. Neu sei die Form, wie das Erlebnis Mittelalter in Altfinstermünz präsentiert werde. Neuartig und ungewöhnlich dargestellt werde die Geschichte des 20. Jahrhunderts in einem Bunker des Jahres 1939, der mitten in Europa im Jahre 1992 noch immer besetzt war und in dem zur Trinkwasserversorgung die wirkliche Etschquelle mit eingebaut – genauer – einbetoniert ist. Bürgermeister Albrecht Plangger geriet ins Schwärmen, als er von den Möglichkeiten sprach, die „die Gschicht‘ von der falschen Etschquelle“ vor allem für die Italiener abgeben könnte. Projektschritte und Kosten: 31. 12. 2008: ­Entwässerung Panzersperre 30.06. 2009: Klausenturm: Fertigstellung der Planungsleistung 30.11.2009: Grundsätzliche Adaptierung Schaubunker 30.11.2010: Klausenturm: Abschluss der Fassadenrestaurierung 31.12.2010: Fertigstellung des Kulturführers 31.03.2011: Ausarbeitung des Schulprogrammes 30.04.2011: Abschluss der ­Führerausbildung 31.05.2011: ­Fertigstellung der Themenwege 30.06. 2011: Klausenturm: ­Fertigstellung der Innensanierung Die Kosten für Sanierung Klausenturm, Sanierung des Bunkers, Beschilderung, Kulturführer und Führerausbildung betragen ca. 1,7 Millionen Euro.
Günther Schöpf
Günther Schöpf

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