„Von der Idylle können wir nicht leben“
Im Bild (v.l.): Bürgermeister Georg Altstätter, Landesrat Arnold Schuler, Kammerabgeordneter und Buchautor Florian Kronbichler, Bauernbund-Bezirksobmann Raimund Prugger, Fotograf Christjan Ladurner und Moderator Heinrich Zoderer.

Welche Zukunft hat die Berglandwirtschaft?

Publiziert in 22 / 2015 - Erschienen am 10. Juni 2015
Buchvorstellung und Diskussion über Möglichkeiten zum Erhalt der bergbäuerlichen Betriebe. Martell - Nicht von Idylle, Romantik und Nostalgie lebt der Bildband „Die Kunst, von oben zu leben“, sondern von positiven und ermutigenden Beispielen dafür, dass ein Überleben auf Südtirols Bergbauernhöfen zwar nicht leicht, aber möglich ist. Zwei der 21 Bergbauernhöfe, die der Buchautor und Parlamentarier ­Florian Kronbichler und der Fotograf Christjan Ladurner besucht und in beeindruckenden Texten und Bildern portraitiert haben, befinden sich in Martell. Das ist zum einen der Lexn-Hof, wo sich die Familie Eberhöfer zusätzlich zur Viehzucht dem Erdbeer- und Kräuteranbau widmet, und zum anderen Stallwies, wo die Familie Stricker den auf 1.953 m Meereshöhe gelegenen Bergbauernhof zu einem Berggasthof mit Bauernschaft umwandelte. Dass der im Haymon Verlag erschienene Bildband am 30. Mai auf Einladung der bäuerlichen Organisationen der Gemeinde Martell auf Stallwies vorgestellt wurde, ist daher kein Zufall. „Gschuntn, gschuntn und nou amol gschuntn“ habe man seinerzeit, um ein Über- und Weiterleben am Hof überhaupt zu ermöglichen, sagte der Altbauer Edi Stricker. Als er den Hof 1969 übernahm, gab es weder eine Zufahrt noch eine Seilbahn. „Auch unten im Dorf gab es Mitte der 1950er Jahre noch keine Straße.“ Ende der 1960er Jahre habe man dann begonnen, die Höfe mit bescheidenen Landesmitteln zu erschließen. 1977 gab es erstmals eine notdürftige Zufahrt bis Stallwies, zum einst höchstgelegenen Kornhof Europas. Ohne Zufahrt wäre es mehr als schwierig gewesen, weiterhin auf Stallwies zu bleiben. Von der Landwirtschaft allein konnte man aber trotz Zufahrt nicht leben. Edi: „Ich war zwar Bauer, hatte aber keinen Beruf. So entschloss ich mich, die ‚gastronomische Prüfung’ zu machen.“ Aus dem Bergbauerhof wurde so Schritt für Schritt ein Berggasthaus mit Gastbetrieb und Zimmervermietung. „Das wird keine Generation mehr schaffen“ „Was die Generation von Edi und Irma geschafft hat, wird keine Generation mehr schaffen“, gab sich die Jungbäuerin Jana aus Leipzig überzeugt. Sie war als Urlauberin nach Martell gekommen. Schon seit Jahren hilft sie am Hof überall mit. Jana staunt noch immer, mit wie viel Herzblut und Einsatz Bergbäuerinnen und Bergbauern in Martell und ganz Südtirol an ihren Höfen hängen und zum Teil Arbeiten verrichten, die ihnen rein wirtschaftlich nichts einbringen. Wohl aber komme die Pflege der Kulturlandschaft dem Tourismus und der Allgemeinheit zu Gute und für diese Leistung sei eine Gegenleistung zu erbringen. Für Jana ist Stallwies eine gelungene Verknüpfung von Tradition und moderner Entwicklung, die ihrerseits ein Einkommen sichert und somit eine Gewähr für den Weiterbestand des Hofes ist. Der Jungbauer und Haubenkoch Oswald Stricker sagte, dass der Kern auf Stallwies der Hof ist. Im Gasthaus kommt Fleisch von Mastvieh auf den Tisch, das am Hof aufgewachsen ist. Auch hofeigene Salate und Gemüse werden verwendet. Im Anschluss an die Buchvorstellung entfaltete sich unter der Moderation von Heinrich Zoderer eine offene, mehrstündige und sehr interessante Diskussion über die Zukunft der Südtiroler Berglandwirtschaft. Landesrat ­Arnold Schuler ließ die Entwicklung der Landwirtschaft Revue passieren, und zwar von der Zeit, als es noch Bergbauern waren, die mit Erlösen aus dem Holzverkauf Höfe in der Talsohle erwarben, bis herauf in unsere Zeit, wo ein Weiterbestand der bergbäuerlichen Betriebe ohne öffentliche Unterstützung, ohne Alternativen und neue Strategien kaum denkbar ist. Die Feststellung des Kammerabgebordneten Florian Kronbichler, wonach der Faschismus dazu beigetragen hat, die Bauern auf den Höfen zu halten, weil sie nicht als Fabrikarbeiter in „italienische“ Städte ziehen ­wollten, teilte Schuler. Einen großen Wandel in der Landwirtschaft habe auch die Globalisierung gebracht, wenngleich mittlerweile wieder ein großer Trend zur Regionalität festzustellen ist. Schuler: „Der Trend hin zu regionalen Produkten hat den Bio-Trend bereits überholt.“ Regionalität überholt Bio-Trend Auf diesen Aspekt sei daher im Hinblick auf den Erhalt der Bergbauernhöfe besonders zu achten. In der Herstellung regionaler Qualitätsprodukte sieht der Landesrat Nischen, die vor allem von Berg­bauern besetzt werden können. „Nur auf Beiträge hoffen, wird aber nicht reichen“, sagte Schuler. In punkto Beiträge sei es die Euro­päische Union, welche die maßgeblichen Weichen stellt. Auf EU-Ebene zeichne sich immer stärker der Trend ab, wonach die Landwirtschaft in Zukunft weniger und der Bereich Soziales mehr gefördert wird. Umso mehr seien auch in der Berglandwirtschaft Eigen­initiativen und neue Ideen gefragt. Die Landesregierung sei gewillt, „neue Alternativen anzustoßen und zu begleiten.“ Bisher sei viel Geld in die Forschung und Entwicklung im Obst- und Weinbau geflossen. Nun soll auch in der Berglandwirtschaft in diesen Bereichen massiv investiert werden. Schuler: „Wir reden von zweistelligen Millionenbeträgen in den nächsten Jahren.“ Als eines der Beispiele nannte der Landesrat die regionale Fleischproduktion. In diesem Bereich habe Südtirol ein sehr großes Potential. Fleischproduktion birgt viel Potential Es brauche aber ein durchdachtes und schlüssiges Konzept, wobei vor allem auch die Bedürfnisse der Gastronomie berücksichtigt werden müssen. Die Gastronomie brauche kontinuierliche Fleischmengen mit guter und gleichbleibender Qualität. Zur Marke Laugenrind meinte Schuler, dass sie unter ein viel größeres Dach zu stellen sei. Neben der Fleischproduktion seien noch weitere Felder zu „beackern“: Kräuter und Beeren, Steinobst und andere Bereiche mehr. Gut ent­wickelt habe sich bisher der Urlaub auf dem Bauernhof. Die Wertschöpfung daraus sei mittlerweile höher als jene der Weinwirtschaft. Grundsätzlich hielt Schuler fest, dass die Zukunft der Berglandwirtschaft sicher nicht nur mit Beiträgen gesichert werden kann. Es brauche neue Ideen und Alternativen, die auch Wertschöpfung bringen. Dass sich die Abwanderung von Südtirols Bergbauernhöfen derzeit noch in Grenzen halte, hänge auch damit zusammen, „dass die Leute mit dem Herzen an den Höfen hängen.“ Außerdem handelt es sich zumeist um kleine Familienbetriebe, „wo keiner auf die Uhr schaut und alle mit anpacken.“ Das sei übrigens auch im Obstbau so. „Es kommt viel auf die Eigeninitiative an“ Bauernbundbezirksobmann ­Raimund Prugger gab sich überzeugt, dass vieles von der Eigeninitiative abhängt. Wenn jemand aktiv wird und etwas Neues wagt, kann es ein Anreiz für andere sein. Manche aber nehmen die Hände nicht aus dem Hosensack. Im Vinschgau gibt es viele kleine Höfe, die laut Prugger trotz aller Förderungen auf einen Zu- oder Nebenerwerb angewiesen sind. Auch er ist der Meinung, dass vermehrt in den Bereich Innovation und Forschung investiert werden soll. Klar sei aber auch, dass sich nicht alle auf Nischenprodukte konzentrieren können. Zu einer immer größeren Last werde die Bürokratie. Die Landespolitik bemühe sich zwar um Abhilfe, doch ihm komme oft vor: „Ein Zettel verschwindet und zwei kommen dazu.“ Zur Aufgabe des Bauernbundes insgesamt stellte der Bezirksobmann fest, „dass wir zwar die Interessen und Anliegen der Bauern unterstützen und vertreten, aber Bestimmungen erlassen kann der Bauernbund nicht.“ „Der Tourismus ist den Bauern etwas schuldig“ Der Grundtenor bei der Diskussion war eindeutig jener, dass die Berg­bauern von der Idylle nicht leben können und dass die von den Bauern zu Gunsten des Tourismus und der Allgemeinheit erbrachten Leistungen entgolten werden müssen. „Der Tourismus ist den Bauern etwas schuldig,“ brachte Christjan Ladurner das Problem auf den Punkt. Dass in der Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und dem Tourismus noch viel Potential brach liegt, räumte Arnold Schuler offen ein. Für Sepp Maschler, Ortsobmann des Bauernbundes Martell und Vizebürgermeister, muss es für den großen Mehrwert, den die Landwirtschaft erbringt, eine angemessene Gegenleistung geben. Mit Blick auf den Nationalpark meinte Maschler: „Die Leute müssen etwas wollen, müssen aber auch etwas tun dürfen. Bestimmte Entwicklungen müssen möglich sein.“ Bürgermeister Georg Altstätter bezeichnete die Höfezufahrten als Lebensader für die bergbäuerliche Bevölkerung. Eine neue Lebensader sei nun der Breitbandanschluss. Altstätter erinnerte auch daran, dass einige Höfe in der Vergangenheit aufgelassen wurden, u.a. in Innerwaldberg. Einige weitere Höfe stünden auf der Kippe. Dass die Einwohnerzahl der bäuerlich geprägten Gemeinde Martell seit ca. 10 Jahren bei 880 liege, dürfe nicht zur Annahme führen, dass die Abwanderung kein Thema sei, „denn es muss auch bedacht werden, dass die Lebenserwartung stetig steigt und wir somit immer mehr ältere Leute im Tal haben.“ Alles eher als zum Vorteil gereiche bäuerlichen Buschenschänken, und nicht nur, die Tatsache, dass Gäste mit Drei-Viertel-Pension (Frühstück, Nachmittagsimbiss und Abendessen) auswärts so gut wie nichts konsumieren. Junglandwirte haben es schwer Für mehr Unterstützung für Junglandwirte bzw. für Starthilfen bei der Betriebsübernahme sprachen sich die stellvertretende Bezirksbäuerin Veronika Kofler Gander aus Matsch und die Marteller Ortsbäuerin ­Annelies Spechtenhauser aus. „Wir können den jungen Leuten zwar die Freude an der Arbeit am Hof mitgeben und auch Werte, sonst aber nicht viel,“ sagte ­Spechtenhauser. Kofler Gander gab zu bedenken, dass es ein Unterschied ist, ob ein Betrieb, der Urlaub auf dem Bauernhof anbietet, am Berg liegt oder im Tal. Auch der Anbau von Sonderkulturen sei in höheren Anlagen oft mit Schwierigkeiten verbunden. In Matsch etwa habe ein Bauer Kirschen angepflanzt, doch seit 4 Jahren aufgrund von Frostschäden keine Ernte eingefahren. Das Thema Tierprämien brachte Erich Stricker aufs Tapet. Ohne diese Prämien stünden viele Bergbauern vor ­großen Problemen. „Heutzutage einen neuen Transporter anzuschaffen, ist für viele ein Ding der Unmöglichkeit.“ Wenn der alte Transporter den Geist aufgebe, „muss ich das Heu wieder mit der Kraxe in den Stadel tragen oder ich gehe zum Hüten in die Schweiz,“ so die spitze Formulierung von Erich Stricker. Das größte Kapital der Bauern sieht Florian Kronbichler übrigens in ihrer Würde. Dass sich die Bauern vom Jammern und Lärmen immer mehr befreit hätten, schreibt Kronbichler den Bäuerinnen zu, die seit 30 Jahren selbstbewusst auftreten, bei verschiedensten Anlässen mit regionalen Produkten aufwarten und auch sonst in vielen Bereichen ein würdiges Bild der Bauernschaft vermitteln. Zur Sprache gebracht wurde auch der Faktor Zeit. Es sei alles andere als leicht, einer Vollzeitarbeit nachzugehen und nebenher die Arbeit am Hof zu verrichten: „Wenn ich die Arbeit beginne, habe ich die Stallarbeit schon hinter mir. Und wenn meine Kollegen Feierabend haben, muss ich noch auf die Wiese und in den Stall.“ Und dass das, was man bei der Arbeit verdient, noch in den Hof gesteckt wird, kommt nicht selten dazu. Sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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