Es bewegt sich vieles im Bezirk
Präsident Dieter Pinggera im Interview
Dieter Pinggera ist seit einem Jahr Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau.

„Wir halten zusammen“

Nach einem Jahr Präsidentschaft zieht Dieter Pinggera trotz des allgegenwärtigen „Corona-Schattens“ und trotz großer Herausforderungen eine positive Bilanz.

Publiziert in 42 / 2021 - Erschienen am 16. Dezember 2021

Vinschgau - Schon allein sein dichter Terminkalender zeigt es: Dieter Pinggera ist ein viel beschäftigter Mann. Wenn im Bürgermeisterbüro im Rathaus in Schlanders das Licht nicht brennt, trifft man ihn normalerweise am Sitz der Bezirksgemeinschaft Vinschgau, die er seit dem Dezember des Vorjahres als Präsident leitet. Auch aufgrund dieses zusätzlichen Amtes gibt es so gut wie kein Anliegen oder Thema im Bezirk Vinschgau, mit dem Dieter Pinggera nicht direkt oder indirekt befasst ist. Die Palette reicht vom Nationalpark über die anstehende Pensions-Welle bei den Hausärzten bis hin zu einem bezirksweiten Tourismuskonzept, das die Gemeinden gemeinsam erarbeiten wollen.

der Vinschger: Herr Dieter Pinggera, Sie sind nicht nur Bürgermeister der Gemeinde Schlanders, sondern seit rund einem Jahr auch Präsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau. Ist es schwierig, beide Ämter unter einen Hut zu bringen?

Dieter Pinggera: Es ist vor allem zeitintensiv, das Arbeitspensum ist enorm. Inhaltlich sind die zwei Aufgaben gut zu vereinbaren, weil sich die Anliegen, um die ich mich als Bürgermeister und als Bezirkspräsident kümmere, weitgehend decken.

Verdienen Sie eigentlich doppelt?

Nein, doppelt nicht. Die geltende Regelung sieht vor, dass ein Bezirkspräsident, der zugleich Bürgermeister ist, in etwa die Hälfte der Vergütung bezieht, die einem Bezirkspräsidenten zusteht, der ausschließlich dieses Amt ausübt.

Hat die Corona-Krise die politische Arbeit auf Bezirksebene in irgendeiner Form gehemmt bzw. eingeschränkt?

Auch wir als Bezirksgemeinschaft mussten die operative Tätigkeit auf Video-Konferenzen und Online-Besprechungen umstellen. Obwohl das technisch natürlich möglich und machbar ist, gibt es auch Nachteile. Es ist nicht dasselbe, ob man über den Computer miteinander kommuniziert oder ob man physisch zusammensitzt, einander in die Augen schaut und nachher etwas zusammen trinken geht. Zusätzlich zu diesem Aspekt hat die Corona-Krise sehr viel Mehrarbeit für die Gemeinden und auch die Bezirksgemeinschaft gebracht, denken wir nur an die Teststationen oder Impfzentren.

Wie würden Sie die Situation der gesundheitlichen Versorgung im Tal und jene im Krankenhaus ohne Pandemie beschreiben?

Ohne Pandemie - das wage ich zu behaupten - wäre die Situation im Krankenhaus besser als je zuvor. Schon vor der Pandemie wurde eine Vielzahl von Abmachungen und politischen Zusagen umgesetzt oder eingelöst. Es wurden nicht nur die zwei vakanten Primariate nachbesetzt, sondern zum Teil sogar zusätzliche Dienste eingeführt, etwa die Rehabilitation. Die Pandemie hat das alles stark überschattet. Derzeit ist die Situation im Krankenhaus - nicht zuletzt auch wegen der Suspendierungen und Kündigungen - sehr angespannt und belastend. Alle sind im Anschlag. Was die Hausärzte und die Basismedizin im Vinschgau betrifft, befinden wir uns in einer schwierigen Situation. Es ist leider so, dass unser Bezirk bei bisherigen Ausschreibungen mehrmals leer ausgegangen ist. Junge Ärzte ziehen es offensichtlich vor, in den Städten zu arbeiten. Das Land wird gemieden. Erschwert wird die Lage auch deshalb, weil uns in nächster Zeit eine weitere Pensionierungswelle von Hausärzten ins Haus steht. Gut aufgestellt ist der Vinschgau in diesem Bereich somit nicht.

Der größte Aufgabenbereich der Bezirksgemeinschaft ist das Soziale. Wie kamen bzw. kommen die Sozialdienste mit der Pandemie zurecht?

Der Sozialbereich wurde von der Pandemie total überschattet und sehr stark getroffen. Für die stationären Einrichtungen, ich denke etwa an die Lebenshilfe, galten dieselben strengen Vorgaben wie für die Seniorenwohnheime. Obwohl sie de facto über Monate geschlossen waren, musste alles darangesetzt werden, um die stationären Dienste irgendwie aufrecht zu erhalten. Wir konnten die Klientinnen und Klienten, die zum Teil auch alleinstehend sind, nicht einfach zu Hause lassen. Außerdem hatten wir auch Infizierte unter den Betreuten und bei den Mitarbeiterteams. Noch immer sehr schwierig ist die Lage derzeit bei der Hauspflege. Wenn sich das Infektionsgeschehen zuspitzt, wie wir es derzeit leider wieder erleben, werden Patienten aus dem Krankenhaus entlassen, obwohl sie eigentlich noch bleiben müssten. Das wiederum führt zu einer Überlastung bei der Hauspflege. Hinzu kam außerdem, dass der Staat die Impflicht auch auf das Personal der Hauspflege ausgedehnt hat, sodass wir auch in diesem Bereich Suspendierungen und Kündigungen befürchten müssen. Wir bemühen uns derzeit stark, Personen für eine Mitarbeit in der niederschwelligen Hauspflege zu finden und rufen vor allem Pensionierte dazu auf, uns in dieser schwierigen Situation zu helfen. Die Voraussetzungen für zeitweise Anstellungen wurden mit dem jüngsten Dekret des Landeshauptmannes Gott sei Dank gelockert. 

Was hat sich in den Bereichen Abfallbewirtschaftung und Radwegenetz heuer getan?

Bei der Abfallbewirtschaftung konnten wir heuer im Wesentlichen auf Kontinuität setzen, weil die größeren Investitionen im Abfallwirtschaftszentrum in Glurns abgeschlossen sind. Einen Umbruch wird es hingegen beim Thema Radwege geben, weil dafür im Landesressort für Mobilität eine neue Kompetenz- und Koordinierungsstelle geschaffen wird. Die Finanzmittel für die außerordentliche und ordentliche Instandhaltung des Vinschger Radweges sind heuer zwar geflossen, aber die Finanzierung größerer Projekte war nicht möglich. Die einzige Ausnahme ist die im Bau befindliche Radaufstiegsroute zwischen Prad und Stilfser Brücke. Dieses Vorhaben wird Hand in Hand mit weiteren Projekten umgesetzt und ist daher ein positiver Synergieeffekt eines breit aufgestellten Gemeinschaftsprojektes. Als zweites Baulos wird die Radaufstiegsroute von Stilfser Brücke bis Gomagoi fortgesetzt. Ab dem Frühjahr befahrbar sein wird das Teilstück Holzbrugg-Göflan. Der Abschnitt von Göflan in Richtung Sportplatz Göflan ist noch zu bauen. Sobald auch dieses Teilstück realisiert ist, können wir sagen, dass die Radstrecke zwischen Reschen und Meran keine größeren Lücken mehr aufweist. In der Planungsphase befindet sich ein Radweg von Goldrain ins Martelltal.

Ein weiterer Aufgabenbereich der Bezirksgemeinschaft sind die Kläranlagen und die Abwassersammler. Stehen hier Investitionen an?

Ja, und zwar nicht kleine. Rund 6 Millionen Euro wird der Bau des Hauptsammlers von Sulden bis zur Kläranlage in Prad kosten. Die Kläranlage in Schnals wird mit rund 2 Millionen Euro saniert. Außerdem stehen Neuerungen und Verbesserungen in den Kläranlagen Mittel- und Obervinschgau an. 

Hat die Bezirksgemeinschaft genug Geld, um alle Aufgaben zufriedenstellend zu erfüllen?

Die Bezirksgemeinschaft hat grundsätzlich keine Eigenmittel. Wie sind ein Dienstleister, der entweder im Auftrag der 13 Mitgliedsgemeinden oder des Landes Dienste durchführt und das dafür notwendige Geld von den Gemeinden oder vom Land bekommt. 

Werden auch Anträge und Finanzierungsgesuche vorgelegt, die über den engen Aufgabenbereich der Bezirksgemeinschaft hinausgehen? Für die Unterstützung des Vinschger Bildungshauses Schloss Goldrain wurde vereinbart, dass die Gemeinden Beiträge zahlen.

Wir verfügen als Bezirksgemeinschaft über einen bescheidenden Jahresfonds in Höhe von 20.000 Euro, mit dem wir vor allem kulturelle Veranstaltungen oder Projekte unterstützen, die einen übergemeindlichen Charakter haben. Einen gemeinsamen Unterstützungsfonds haben die Gemeinden im Obervinschgau auf die Beine gestellt. So werden die drei Großveranstaltungen Ortler Bike Marathon, Stilfserjoch Stelvio Marathon und Reschenseelauf jährlich mit insgesamt 75.000 Euro mitgetragen. Beim Bildungshaus Schloss Goldrain ist es so, dass die Corona-Krise große Lücken bei den laufenden Ausgaben verursacht hat. Im Gegensatz zu andern Bildungshäusern sind die Ausgaben für die Führung des denkmalgeschützten Schlosses ungleich höher. Ich erinnere nur an die Heizung mit Strom. Landesrat Philipp Achammer hat zugesagt, dem Bildungshaus einen Sonderbeitrag zu gewähren, forderte aber auch die Gemeinden zur Mithilfe auf. Wir haben daher im Rahmen einer Bürgermeisterrunde vereinbart, unser Bildungshaus für zwei Jahre mit jeweils 50.000 Euro zu unterstützen. Der Beitragsschlüssel fußt auf zwei Kriterien. Das ist einmal die Einwohnerzahl der 13 Gemeinden und einmal die geografische Entfernung vom Bildungshaus.

Ihre Heimatgemeinde und etliche weitere Gemeinden sind touristisch gesehen nicht gerade stark aufgestellt. Zusätzlich dazu gibt es noch weitere Ungleichheiten zwischen den 13 Gemeinden. Kann die Bezirksgemeinschaft hier ausgleichend wirken, speziell was die Unterschiede zwischen Groß- und Kleingemeinden betrifft?

Wir sehen es durchaus als unsere Aufgabe, einen Ausgleich zwischen den Gemeinden zu schaffen und Synergien entsprechend zu nutzen. Was speziell den Tourismus betrifft, so haben wir vereinbart, dass im Auftrag aller 13 Gemeinden ein nachhaltiges Tourismuskonzept für den gesamten Vinschgau erarbeitet werden soll, welches dann die Grundlage für die Gemeindeentwicklungsprogramme bilden wird. 

Ein Thema, das mehr oder weniger den ganzen Bezirk betrifft, ist der Verkehr oder weiter gefasst die Mobilität. Die Elektrifizierung der Bahn verzögert sich zwar, wird aber in einigen Jahren fertiggestellt sein. Ebenso der Umfahrungstunnel Kastelbell-Galsaun. Sehen Sie in einer großräumigen Umfahrung im Obervinschgau einen vertretbaren Lösungsansatz?

Die Mobilität ist ein brisantes und zentrales Thema für alle. Einmal für das Land im Kontext der Nachhaltigkeitsstrategie und dann vor allem auch für den Bezirk und alle Gemeinden. Die Mobilität ist nicht zufällig einer der 10 Bausteine der Gemeindeentwicklungsprogramme. Bei der großräumigen Umfahrung im Obervinschgau ist es derzeit so, dass zwar verschiedene Ansätze im Raum stehen, darunter aber kein Vorschlag, mit dem alle betroffenen Gemeinden einhellig einverstanden wären. Bestimmte Lösungsansätze würden meiner Auffassung nach schlicht und einfach nicht finanzierbar sein. Zielführender, realistischer wären wahrscheinlich bescheidenere Lösungen zur Steigerung der Lebensqualität in den einzelnen Gemeinden.

Halten Sie eine Bahnverbindung mit der Schweiz für realistisch oder sind wir immer noch am Träumen?

Eine Anbindung der Vinschger Bahn an das internationale Schienennetz ist eine Vision, an der wir schon lange arbeiten und die wir ernsthaft anstreben. Wichtig ist, dass die Grundlage jetzt geschaffen wird, damit wir die Vision in den nächsten Jahrzehnten umsetzen können. Für welche Trasse oder Variante man sich am Ende entscheidet, ist egal. Was zählt, ist der technisch beste und finanzierbarste Vorschlag, hinter dem alle vier Regionen im Dreiländereck stehen. Der Landeshauptmann hat gesagt, dass noch innerhalb heuer mit Ergebnissen der famosen Technischen Arbeitsgruppe zu rechnen ist. 

Was sind die brennendsten Anliegen bei den „Runden“, zu denen sich die Vinschger Bürgermeisterinnen und Bürgermeister regelmäßig treffen?

Ein Thema, das immer wieder zur Sprache kommt, ist zweifellos die Raumordnung. Im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz für Raum und Landschaft gibt es nach wie vor viele Probleme, offene Fragen, Lücken und ungelöste Anliegen. Zusätzlich zu diesem „Überthema“ gibt es noch eine Vielzahl anderer Anliegen, über die wir uns austauschen. Die Bürgermeisterrunden sind vor allem auch für neuen Verwaltungen hilfreich, schließlich handelt es sich bei rund der Hälfte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister um neue Gesichter. 

Sie wurden kürzlich als Obmann der SVP Schlanders wiedergewählt. Wie wichtig ist die Partei auf Orts- und Bezirksebene überhaupt noch?

Ich bin überzeugt, dass eine Demokratie ohne Parteien nicht überlebens- und handlungsfähig wäre. Um verwalten zu können, braucht es Mehrheiten, und Mehrheiten werden von Parteien garantiert. In 12 der 13 Vinschger Gemeinden haben wir als SVP solide Mehrheiten, können arbeiten und Dinge weiterbringen. Es gibt Gemeinden in Südtirol, welche ein Beispiel dafür sind, dass ohne entscheidungsfreudige Mehrheiten der Stillstand eintritt.

Wie ist der Draht des Bezirks zur Landespolitik? Zumal der Vinschgau in der Landesregierung nicht direkt vertreten ist, fungiert der Landeshauptmann Arno Kompatscher als „Vinschger Landesrat“. Wird er dieser Funktion gerecht?

Es gibt regelmäßige Treffen zwischen der SVP-Kontaktgruppe und dem Landeshauptmann. Arno Kompatscher bemüht sich, unsere Anliegen weiterzubringen, vor allem wenn es um Großprojekte geht, wie etwa die Elektrifizierung der Bahn, die Sicherung des Straßenabschnittes in der Latschander oder das Aufschüttungsprojekt bei den „Galerien“ zwischen St. Valentin auf der Haide und Graun. Es versteht sich, dass dies Großprojekte sind, die nicht in einem Jahr realisierbar sind.       

Kann der Bezirk auf die aktive Mithilfe der Landtagsabgeordneten Hanspeter Staffler und Sepp Noggler zählen?

Sowohl der Bezirk als auch die Gemeinden suchen in der Regel den direkten Kontakt mit dem Landeshauptmann oder mit den zuständigen Landesräten.

Der Nationalpark gehört zu jenen Themen, über die seit Jahren oft und viel gesprochen wird, aber wirklich Konkretes ist kaum in Sicht. Was dürfen wir uns in naher Zukunft erwarten?

Der Nationalpark ist ein sehr schwieriges und komplexes Thema. Beim Parkplan wird es einen formellen Neustart brauchen. Die Kerngruppe um den Marteller Bürgermeister Georg Altstätter, den Kammerabgeordneten Albrecht Plangger und den ehemaligen Bezirkspräsidenten Andreas Tappeiner hat zwar einen inhaltlich guten Parkplan-Entwurf erarbeitet, hinter dem auch der Landeshauptmann steht, aber es sind noch etliche Hürden zu nehmen. Die wohl schwierigste sehe ich in der Abstimmung des Entwurfs mit der Landesverwaltung, sprich den Ämtern. Im Anschluss daran ist der Entwurf mit den zuständigen Gremien im Trentino und in der Lombardei abzusprechen, bevor er dem Umweltministerium in Rom vorzulegen ist.

Sie sind nun schon zum dritten Mal in Folge Bürgermeister des Hauptortes und gehören zu den „alten Hasen“ der Politik. Wie bewerten Sie die Arbeit der neuen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bzw. der gesamten Verwaltungen?

Ich habe von den neuen Kolleginnen und Kollegen einen sehr positiven Eindruck gewonnen. Sie arbeiten zusammen mit ihren Referentinnen und Referenten mit viel Motivation, Tatendrang und neuen Ideen zum Wohl ihrer Gemeinden. Und was den Bezirk angeht, kann ich feststellen: Wir halten zusammen.  

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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