In Würde zu Hause sterben
Im Bild (von links): Primar Hermann Zingerle, Gemeindearzt Wunibald Wallnöfer, Astrid Reinstadler, Krankenpflegekoordinatorin im Sprengel Obervinschgau, ihre Stellvertreterin Isolde Blaas, Krankenschwester Michaela Frank (Sprengel), Krankenschwester Sophie Gorfer (Sprengel) sowie Astrid Patscheider (pflegende Angehörige) und der Arzt Johannes Tschrepp.

...zu Hause LEBEN...bis zuletzt...

Publiziert in 29 / 2008 - Erschienen am 27. August 2008
Obervinschgau – Der Tod und das Sterben sind noch weitgehend Tabu-Themen. Viele Fragen warten noch immer auf Antworten: Soll man die ­Lebenszeit eines Menschen, der nicht mehr lange zu leben hat, um jeden Preis hinaus­ziehen? Wie soll man dem Wunsch eines Patienten, zu Hause ­sterben zu können, nachkommen? Wie können und sollen solche Patienten zu Hause gepflegt werden? Dass es möglich und auch sinnvoll ist, schwerkranke Menschen zu Hause im Kreis ihrer Lieben sterben zu lassen, beweist das Projekt „Palliative Care“ im Sprengel Obervinschgau. von Sepp Laner „Unser gemeinsames Ziel ist es, die Schmerzen schwerkranker Menschen zu lindern, ihnen während der letzten Lebensphase eine möglichst annehmbare Lebensqualität zu bieten und ihnen das Recht einzuräumen, in Würde zu Hause zu sterben“. So fasst der ärztliche Sprengelkoordinator ­Wunibald Wallnöfer das Ziel des im Jänner 2007 begonnenen Projektes „Transmurales, palliatives Netzwerk zwischen dem Krankenhaus Schlanders und dem Sanitätssprengel Obervinschgau“ zusammen. Über die konkrete Umsetzung des nachahmenswerten Projektes, über bisherige Erfolge, über weitere Schritte und auch über Schwierigkeiten und kleine Stolpersteine, die es noch zu beseitigen gilt, informierten Wunibald Wallnöfer und die Pflegekoordinatorin Astrid Reinstadler kürzlich im Sprengel Obervinschgau bei einem Treffen mit Primar Hermann Zingerle (Krankenhaus Schlanders, Medizin), dem Arzt vom onkologischen Day Hospital Schlanders Johannes Tschrepp, mehreren Kranken­pflegerinnen und Astrid ­Patscheider als Betroffene. Bereits seit 2002 besteht im Sprengel Obervinschgau der „Pflegerische Bereitschaftsdienst für Palliativpatienten/innen“ mit der Möglichkeit, bei Palliativpatienten/innen und besonderer Indikation jederzeit eine Krankenpflegerin zu rufen, damit Patienten und deren Angehörige sich ­sicherer fühlen und bei Bedarf schnelle pflegerische Hilfe in Anspruch nehmen können. Der Begriff palliativ leitet sich übrigens vom lateinischen pallium (Mantel) und palliare (lindern) her. Unter Palliative Care versteht man den Handlungsansatz der Hospizarbeit. Es ist eine Methode zur umfassenden, also ganzheitlichen Linderung von Beschwerden hinsichtlich ihrer körperlichen, sozialen, psychischen und spirituellen ­Dimension. Als ­Palliativpatienten werden sterbenskranke Menschen bezeichnet, deren Krankheit in ein unheilbares Stadium eingetreten ist. Im Mittelpunkt von Palliativ Care im Sprengel Obervinschgau stehen die Patienten/innen und deren Angehörige. Zur ganzheitlichen und patientenorientierten Pflege gehört das Miteinbeziehen der zu Betreuenden, deren Angehörigen und Bezugspersonen. Die Ziele des Projektes „Transmurales, palliatives Netzwerk zwischen dem Krankenhaus ­Schlanders und dem Sanitätssprengel Obervinschgau“ sind: Bildung eines operativen Netzwerkes, Fallbesprechungen, spezielle Übergaben von Patienten vom Krankenhaus nach Hause und gesicherter Informationsfluss zwischen den verschiedenen, bei der Betreuung von ­Patienten und Angehörigen beteiligten Diensten. Das Übergabegespräch Als Dreh- und Angelpunkt des Projektes wertet der ärztliche Sprengelkoordinator Wallnöfer das so genannte Übergabegespräch. Es handelt sich um ein etwa halbstündiges, gut vorbereitetes Gespräch in einem freundlichen Ambiente im Krankenhaus, bei dem nach Möglichkeit in Anwesenheit aller Beteiligten geklärt werden soll, wie die Schwer­kranken, die ihre letzten Tage oder ­Wochen daheim verbringen wollen, vom Krankenhaus entlassen werden und wie und von wem die bestmögliche Pflege zu Hause gewährleistet werden kann. „Schon bei diesem Gespräch sind die Ängste, Sorgen und Bedenken der Kranken und vor allem auch der Angehörigen ernst zu nehmen, denn auch das zeichnet ein freundliches Krankenhaus aus“, so Wallnöfer. Zu den Beteiligten gehören die betroffenen Krankenhausärzte, der Hausarzt sowie die Pflegerinnen und Angehörigen. Besonders wichtig für Ange­hörige und Patienten/innen ist es, dass sie aufrichtige Zuwendung erfahren, dass sie verstanden werden, dass sie sich auf die vereinbarten Pflegemaßnahmen verlassen können und dass sie sich bei Bedarf sieben Tage in der Woche, und zwar rund um die Uhr, an den Hausarzt, an den Dienst habenden Arzt, an die Pflegerinnen oder an das Krankenhaus wenden können. Die Pflegerinnen und der Hausarzt nehmen damit natürlich eine besondere Verpflichtung und Verantwortung auf sich. Für die Angehörigen gilt dasselbe. Wichtig ist auch, dass alle beteiligten Personen und Dienste jederzeit über dieselben Informationen verfügen. Ein regelmäßiger Informationsfluss ist unerlässlich. Eine weitere wichtige Säule ist jene, dass man sich den Kranken und den Angehörigen gegenüber klar und verständlich ausdrückt. Medizinisches „Fachchinesisch“ ist hier fehl am Platz. Nicht minder wichtig ist auch die rasche Lieferung von Hilfsmitteln, wie etwa des speziellen Pflegebettes. Derzeit gibt es aber nicht genügend Betten, daher müssen Hilfsmittel teilweise angekauft oder für einen bestimmten Tagessatz ausge­liehen werden. Ärzte, die am Projekt betei­ligt sind, nehmen an speziellen Fortbildungen teil. Besonders gefordert sind auch die Krankenpflegerinnen, denen es unter anderem obliegt, die verordneten Schmerztherapien zu verabreichen. Immer weiter zu verbessern und zu fördern ist laut allen Anwesenden die Teamarbeit zwischen allen Beteiligten. „Es geht um das Erlernen einer neuen Kultur der Kommunikation.“ Im Jahr 2007 und im ersten Halbjahr 2008 wurden laut Astrid Reinstadler 8 Patienten/innen nach Entlassungsgesprächen bis zu ihrem Tod zu Hause betreut. 2 Personen wurden nach den Gesprächen an andere Institutionen verwiesen, 3 werden derzeit zu Hause betreut. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer zu Hause bis zum Tode lag bei 3 Monaten. Eine Befragung der pflegenden Angehörigen ergab, dass die große Mehrheit mit der Behandlung von belastenden Symptomen wie Schmerzen, Erbrechen oder Verstopfung zufrieden war. Weniger zufrieden gaben sich einige Ange­hörige mit der ärztlichen Betreuung im Krankenhaus in Bezug auf Information, Kommunikation und den allgemeinen Umgang im Krankenhaus. Als sehr zufrieden äußerte sich die Mehrheit der Befragten mit der Erreichbarkeit der Krankenpflegerin und des Hausarztes sowie der Bereitschaft desselben für Hausbesuche. Als sehr gut werteten die Hausärzte die Zusammenarbeit mit den Fachärzten des Krankenhauses. Ein ähnliches Ergebnis brachte die Befragung der Krankenschwestern bezüglich der Kommunikation mit den Hausärzten. Mehrheitlich als sehr gut stuften die Haus­ärzte, als gut, aber nicht in allen Fällen, das Pflegepersonal die Kontrolle der Schmerzen und Symptome ein. Was sich die Mehrheit der pflegenden Angehörigen wünscht, ist eine Hospizorganisation, deren Mitglieder wertvolle Dienste leisten könnten. In Kürze wird im Sprengel Mals übrigens der Caritas Hospizdienst vorgestellt. Auch Freiwillige aus dem Obervinschgau haben im Vorjahr eine Ausbildung absolviert, um schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen beistehen zu können. Auf die Bedeutung dieses Dienstes verwies beim ­Gespräch im Sprengel auch Primar Hermann Zingerle. Auch im Krankenhaus selbst sei dieser Dienst auszubauen. Zingerle gab zu bedenken, dass nicht alle Palliativpatienten zu Hause sterben wollen oder können, „sodass es notwendig wäre, auch in einem peripheren Krankenhaus wie jenem in Schlanders bessere Voraussetzungen für eine palliative Betreuung zu schaffen.“ Wie sich die Lage derzeit präsentiert, sei es leider so, „dass solche Patienten in einem Einzelzimmer allein an die Decke schauen müssen.“ Zurzeit sei das Krankenhaus überfordert, es fehle vor allem an Personal, was wiederum mit Kosten verbunden sei. Ein weiteres Problem sei, dass es für die Aufnahme in Alten- und Pflegeheime lange Wartezeiten gibt. Die Privatklinik Martinsbrunn liege ziemlich weit entfernt, speziell für die Bevöl­kerung des Obervinschgaus. „Das Projekt im Sprengel Obervinschgau hilft uns sehr“, sagte Astrid Reinstadler, „wir müssen immer mehr lernen, die einzelnen ‚Filmausschnitte’ zusammen zu fügen und die palliative Betreuung weiter zu vernetzen, wobei die Hauptlast immer bei den pflegenden Angehörigen liegen wird.“ Tatsache sei, dass etwa 70 Prozent der betroffenen Patienten/innen zu ­Hause sterben wollen. Der Wert der Pflege ist laut Wunibald Wallnöfer anzuerkennen, „das Pflegepersonal und die Ärzte müssen einander auf gleicher Augenhöhe begegnen.“ „Die Palliativmedizin fängt im Krankenhaus an. Die Zusammenarbeit und die Kommunikation mit den Sprengeln sind daher unabdingbar, ausgehend vom Übergabegespräch“, sagte Johannes Tschrepp. Astrid Patscheider, deren schwerkranker Vater zu Hause betreut wurde und auch dort starb, berichtete aus eigener Erfahrung über die Zeit der Betreuung. Ihr Vater habe es sich ausdrücklich gewünscht, zu Hause sterben zu können. Sie und ihre Geschwister seien froh gewesen, beim Übergabegespräch mit dem Arzt und allen weiteren Beteiligten sämtliche Fragen stellen zu können. Die geschützte Entlassung und die Mithilfe bei der Betreuung zu Hause hätten gut funktioniert. Für die Angehörigen sei die Belastung während dieser Zeit natürlich groß gewesen. Im Vordergrund des Projektes im Sprengel Obervinschgau steht laut dem ärztlichen Koordinator Wallnöfer die ­Lebensqualität des Patienten, also seine Wünsche, seine Ziele und sein Befinden. Palliative Care biete die Möglichkeit, „den Ruf nach Hilfe zum Sterben mit Lebensbeistand und Hilfe beim Sterben zu beantworten“, zitiert er aus einem ­Leserbrief des Oberarztes Thomas Lanthaler in der ff. Wie wichtig schon allein das Übergabegespräch sein kann, belegen folgende Kommentare von Angehörigen: „Wir waren sehr froh, dass es ein Gespräch zwischen Krankenhaus, Hausarzt, Pflegerinnen und Angehörigen vor der Entlassung nach Hause gab.“ „Dadurch wurde uns Angehörigen vieles deutlich, wir waren vorbereitet und hatten nicht eine zu große Angst.“
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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