Zu wenig Therapeuten im Reha–Dienst Schlanders
Publiziert in 20 / 2005 - Erschienen am 20. Oktober 2005
Es sind Tatsachen. Der Rehabilitationsdienst des Sanitätsbetriebes Meran im Vinschgau ist sehr wichtig, weist aber leider Mängel auf. Ärzte wie Therapeuten geben natürlich ihr Bestes, denn das Wohl der Patienten ist vordergründig. Das Personal ist aber unterbesetzt und, für die freien Stellen gibt es keine oder kaum Anwärter aus dem Vinschgau. Was das für die Vinschger Bevölkerung mit sich bringt und warum das so ist, hat „Der Vinschger“ untersucht.
Von Daniela di Pilla Stocker
Es ist einfach, mit dem Zeigefinger auf den Bösewicht zeigen. Es ist einfach, Kritik auszuüben. Bei der Reha muss man viel zu lange auf Termine warten, das funktioniert nicht und jenes auch nicht. Sicher, wenn der Patient eine Therapie schnell nötig hat, wird es zum Problem. Aber die Dringlichkeitsfälle haben immer Vorrang, erklärt Dr. Georg Hillebrand, Facharzt für physikalische Medizin und Rehabilitation. Alle dringlichen Therapien haben Vorrang, die stationären Patienten auf den Abteilungen Medizin und Chirurgie sowie jene bei einer stationären Nachbehandlung nach Hüftoperationen, ebenso Kinder und Neugeborene. Hillebrand ist zweimal in der Woche am Krankenhaus Schlanders tätig, die restlichen Tage arbeitet er im Krankenhaus Meran. Er ist der ärztliche Koordinator des Dienstes in Schlanders, von Primar Heinrich Tischler beauftragt. Durchschnittlich führt Hillebrand zehn bis 15 Visiten am Tag durch. Er ist Physiater für Erwachsene. Die Wartezeiten betragen in seinem Falle zwei Monate. Im Bereich Entwicklungsalter sieht die Statistik krasser aus: Dr. Martina Lanthaler oder Dr. Julia Götsch, beide Physiater im Kinderbereich, sind ebenfalls zwei Tage in der Woche in Schlanders. Ein Patient wartet zehn Monate auf eine Visite. Bei der Physiotherapie Kinder sind derzeit 1,5 Stellen besetzt, davon eine erst ab dem ersten September 2005 und eine Teilzeit-Stelle. Die Wartezeiten hätten sich innerhalb eines Monats bereits etwas verringert, berichtet Zita Gruber, derzeitige Koordinatorin des Rehabilitationsdienstes und Vollzeit-Ergotherapeutin. Sie betragen „nur mehr“ 6,5 Monate. Der Kinder-Neuropsychiater, Dr. Benedetto Dordi, ist einen Tag pro Monat in Schlanders anwesend. Die Wartezeit beträgt fünf Monate. Bei der Logopädie sind derzeit 1,25 Stellen besetzt, eine Teilzeitstelle zu 0,75 ist unbesetzt. Auch in diesem Falle gibt es wiederum eine erhebliche Wartezeit von zehn Monaten. 1,5 Stellen sind bei der Ergotherapie besetzt. Wie oben erwähnt, ist die Koordinatorin der Reha selbst die Vollzeitkraft. Hier beträgt die Wartezeit neun Monate. „Es handelt sich meist um Langzeit-Therapie-Kinder mit Schwer- oder Mehrfachbehinderungen oder um Kinder mit Lern- und Aufmerksamkeitsstörungen“, fügt Gruber hinzu. In der Physiotherapie Erwachsene sieht es folgendermaßen aus: Bewegungstherapie : Wartezeit 1,5 Monate, bei der Elektrotherapie dieselbe Wartezeit, bei den Massagen vier Monate und bei der Hydrotherapie (die seit August 2005 angeboten wird, Anm.d.Red.) ebenso vier Monate. Im Bereich Physiotherapie Erwachsene sind vier Stellen besetzt, davon drei Vollzeit und zwei Teilzeit (zu je 50 Prozent). Eine Teilzeitstelle zu (0,75) ist unbesetzt! Eine Stelle für eine Heilmasseurin ist derzeit ebenfalls unbesetzt! Die Logopädie für Erwachsene wird von der HNO (Hals-Nasen-Ohrenabteilung) Meran organisiert. Bei der Ergotherapie für Erwachsene ist derzeit eine Vollzeitstelle besetzt, die Wartezeiten sind kurz, eins bis drei Wochen.
Wie sieht es in der Außenstelle Mals aus?
Folgende Therapien werden im Spengelsitz in Mals derzeit durchgeführt: Die Logopädie für Erwachsene wird wiederum über die HNO-Abteilung Meran organisiert, die Ergotherapie für Erwachsene wird 1,5 Tage pro Woche angeboten, bei Bedarf etwas mehr; die Physiotherapie für Erwachsene wird derzeit nicht gedeckt. Dies bedeutet, dass alle Erwachsenen, die eine Physiotherapie brauchen, nach Schlanders fahren müssen. Bei den Kindern sieht es folgendermaßen aus: Seit dem ersten September 2005 ist eine neue Vollzeit-Mitarbeiterin angestellt, seitdem wird einen Tag pro Woche Physiotherapie in Mals angeboten. Für die Ergotherapie gibt es zwei halbe Tage in der Woche. Für die Logopädie gibt es niemanden. Dies bedeutet wiederum, dass alle Kinder, die Logopädie brauchen, nach Schlanders fahren müssen. Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Missstand, der auch so schnell nicht behoben werden kann. Zita Gruber sagte, dass es in den vergangenen Tagen Vorgespräche um Aufstockung des Personals gegeben habe. Andreas Fabi, der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Meran, erklärte diesbezüglich unserer Zeitung auf Anfrage: „Es muss gespart werden, aber in diesem Bereich wäre Sparen am falschen Platz. Die Reha und die Geriatrie müssen grundsätzlich verstärkt werden. Man muss den Leuten etwas Zusätzliches garantieren können. Es ist auch zu überlegen, ob nicht Konventionen mit Therapeuten abgeschlossen werden sollten. Zudem ist zu sagen, dass in wenigen Wochen auch Hüft- und Knieprothesen am Krankenhaus Schlanders durchgeführt werden. Diese Patienten sollten dann auch in Schlanders an der Reha therapiert werden und nicht nach Meran ins Krankenhaus oder nach Martinsbrunn oder in das Salus-Center nach Prissian geschickt werden. Da ist eine Aufstockung des Personals unbedingt notwendig. Der Reha-Bereich wächst aufgrund des Älterwerdens der Bevölkerung, aber auch der größeren Aufmerksamkeit gegenüber Schwächen des Bewegungsapparates. Gerade was Massagen anbelangt, steigt der Bedarf sehr. Wobei zu unterscheiden sei, welche wirklich sinnvoll sind und welche nicht mehr von der öffentlichen Hand getragen werden können, sagt Fabi weiters. Vorausgesetzt, dass wir ausgebildete Therapeuten finden, ist sicher etwas zu tun. Der Sanitätsbetrieb suche sogar in Deutschland und Österreich mittels Inserat nach Therapeuten für die Reha-Dienste“, teilte Fabi mit.
Personalmangel großes Problem
Der Rehabilitationsdienst kann in der derzeitigen Lage nicht mehr anbieten. Zum einen wegen Personalmangels, zum anderen wegen fehlender Anwärter aus dem Vinschgau. Wenn Ausschreibungen stattfinden, seien selten Vinschger unter ihnen. Dies bestätigen Dr. Hillebrand und Gruber. Es ist auch verständlich, wenn Therapeuten aus anderen Landesteilen dann nicht in den Vinschgau kommen und lieber in ihrer Umgebung arbeiten. Natürlich sei auch die Fachausbildung ausschlaggebend. Jene, die im Ausland studieren, müssen ihren Titel in Italien anerkennen lassen. Auch die Aufnahme an sich sei mit einem langen bürokratischen Weg verbunden, so dass es vorkomme, dass Therapeuten inzwischen eine andere Stelle finden und annehmen.
Was tun die Patienten aber mit Schmerzen, wenn sie so lange auf eine Visite und die darauffolgende Therapie warten müssen? „Wenn es sich um akute Schmerzen handeln, helfen eben nur Schmerzmittel, erklärt Primar Heinrich Tischler. Die erste Anlaufstelle für den Patienten ist der Hausarzt. „Diese leisten als Erste gute Arbeit, bevor die Patienten weitergeleitet werden“, betont Tischler. Die Reha Abteilung befindet sich im fünften Stock des neuen Traktes des Krankenhauses Schlanders. Die Räumlesind großzügig und gut ausgestattet. Es wird seit dem Sommer auch Hydrotherapie angeboten, dies bedeutet es gibt ein Bewegungsbad, eine Unterwassermassagewanne sowie ein Hydrogalvanisches Bad, berichtet Dr. Hillebrand. Die physiotherapeutische Bewegungsbehandlung im Wasser sei aufgrund mannigfaltiger Vorteile als eine wichtige Methode, vor allem der postoperativen Nachbehandlung und Rehabilitation anzusehen. Im restlichen Italien werden die Hydrotherapie und einen Teil der Elektrotherapie nicht mehr von der öffentlichen Hand angeboten im Gegensatz zu Südtirol, weiß Primar Tischler.
Derzeit laufen die Budget-Verhandlungen, wie bereits erwähnt. Damit hängt auch die Aufstockung des Personals zusammen. Mit mehr Personal würde der Reha-Dienst verständlicherweise noch besser arbeiten, die Wartezeiten könnten verkürzt werden, es könnte ein Qualitätssprung erreicht werden, berichtet Tischler.
„Die Peripherie immer wieder benachteiligt“
Die Peripherie zieht immer wieder den Kürzeren, leider auch im Falle des Rehabilitationsdienstes. Dies merkt auch Karoline Gasser Waldner, Gemeindereferentin in Graun, an. Auf die Frage unserer Zeitung, ob es stimme, dass sich ein Physiotherapeut aus Deutschland in der Gemeinde Graun niederlassen wollte, bejaht Gasser Waldner. Die bürokratischen Hürden haben dies verhindert. „Die Gemeinde hätte ihm die Räume zur Verfügung gestellt“, fügt Gasser Waldner hinzu. Bereits vor zwei Jahren wollte besagter Therapeut in Graun seine Praxis eröffnen, bis heute erfolglos. Schade. Dies bedeutet, dass die Patienten der Gemeinde Graun , die Erwachsenen und teils auch die Kinder, bis nach Schlanders fahren müssen für meist nur eine halbe Stunde Therapie. Wer ein eigenes Auto hat, kann die Fahrzeit noch in Kauf nehmen, aber, wer auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist, der hat große Umstände „Ich habe nachgesehen, wenn jemand von Melag nach Schlanders zur Therapie muss, da ist er ganze zwei Stunden für eine Fahrt unterwegs“, sagt Gasser Waldner. Und das vielleicht für eine halbe Stunde Therapie? Im Oberland habe man gehofft, dass mit dem Sprengelsitz in Mals die Lage sich zum Besseren hätte wenden können: „Bis jetzt haben wir nicht viel davon gespürt.“ Demnach sei es verständlich, wenn die Betroffenen private Ärzte, Therapeuten und Strukturen aufsuchen. Aber das sind nur wenige, denn hierfür müssen die Patienten sehr viele Euros hinblättern.
„Es ist eine gesundheitspolitische Frage“
Welche Ressourcen Prioritäten hätten, darauf käme es an, sagt der Arzt Dr. Wunibald Wallnöfer und Koordinator des Sprengels Obervinschgau unserer Zeitung. Es handle sich um eine gesundheitspolitische Frage. Die Reha-Dienste seien gut, aber zu wenig. „Die Nachfrage ist größer als das Angebot“. Die Leute würden immer älter, damit steige auch der Bedarf an Physiotherapie. Es gehe ja nicht immer darum, die Menschen mit Medikamenten zu versorgen, sondern ihnen geeignete Therapiemöglichkeiten zu geben. Der Physiotherapeut sollte laut Wallnöfer den Patienten auch eine sachgerechte Anleitung geben für eine aktive Behandlung; die Patienten sollten nicht nur passiv behandelt werden.
„Der therapeutische Dienst ist auszubauen“
Auch Martha Stecher, die Direktorin der Sozialdienste im Vinschgau, ist überzeugt, dass der therapeutische Dienst im Vinschgau ausgebaut werden muss, besonders in den Einrichtungen wie in den Tagesstätten oder in den Altersheimen.
Noch heuer zieht der Reha-Dienst in Mals um
Das neue Pflege- und Altenheim (Stiftung Martinsheim) in Mals ist auch mit Räumen für den Reha-Dienst bestens ausgestattet. Auch dort kann beispielsweise Therapie im Wasser angeboten werden. Derzeit ist diese Struktur noch nicht in Betrieb. Das soll sich ändern, sagt Bürgermeister Josef Noggler. „Noch heuer soll der Reha-Dienst vom Sprengelsitz in das Altersheim umgesiedelt werden“, erklärt er. Der Personalmangel besteht, er sieht im Abschluss von Konventionen die einizige Möglichkeit, mehr Therapeuten zu bekommen. Josef Noggler, auch Präsident der Bezirksgemeinschaft, schreibt unter anderem in der Programmschrift für die Amtsperiode 2005-2010. Die notwendigen Therapien sollten auch im Vinschgau gewährleistet werden, auch wenn es insgesamt im Reha- und im psychologisch/psychiatrischen Bereich Personalmangel gibt. Die Dienste seien im Vergleich zum Burggrafenamt unterbesetzt. Für die Sozialdienste seien der Reha Dienst und der Psychologische Dienst des Sanitätsbetriebes Meran wichtige Partner für die konkrete Betreuung der Bürgerinnen und Bürger.
„Habe meinen Sohn nie alleine gelassen“
Eine Mutter und ein Vater, die nicht genannt werden wollen, aus dem Obervinschgau, haben unserer Zeitung kurz in ihre Geschichte blicken lassen. Ihr Sohn war vor rund eineinhalb Jahren nach einem Unglück schwer verletzt worden. Er lag im Koma, musste mehrmals operiert werden und verbrachte mehrere Monate im Krankenhaus in Meran, im ehemaligen Böhler. „Ich habe meinen Sohn nie alleine gelassen“, sagt der Vater. Nachdem er gesehen habe, was „alles so laufe in den Spitälern“, habe er beschlossen, von morgens bis nachts seinem Sohn beizustehen, und das ein Jahr lang. Das Problem sei in erster Linie, dass es keine Anlaufstellen gebe. Wenn man plötzlich mit derartigen Schwierigkeiten konfrontiert werde, wisse man nicht, wohin man sich wenden soll. Das Leben des jungen Mannes, der heute 20 Jahre alt ist, war damals stark gefährdet. „Das Schrecklichste war, den Sohn im Koma zu sehen und nicht wissen, wie es ausgehen wird“, erzählt die Mutter. In ihr kämen heute noch die Bilder der Intensivstation in Bozen hoch. Verständlich. Dort sei die Betreuung wirklich gut gewesen, betonen die Eltern. Große Unterstützung findet die Familie auch in ihrem Hausarzt. „Er hat sich sehr um uns gekümmert, auch heute noch können wir uns immer an ihn wenden“, sagen die Eltern. Als der junge Mann dieses schwere Unglück wie durch ein Wunder, wie seine Mutter sagt, überlebte, mussten geeignete Therapien gefunden werden. „Es wurden einfach Fehler gemacht“, meint der Vater. Sehr weitergeholfen habe ihrem Sohn der längere Aufenthalt in einer Spezialklinik in Deutschland. Dort gab es acht Stunden Therapie täglich, bei uns nur zwei bis zweieinhalb, zu wenig. Der Vater gibt auch zu, dass der Personalmangel daran schuld sei. „Es ist schön zu wissen, dass wir hier wirklich mehrere gute Ärzte haben, aber das ist zu wenig“, sagt er etwas aufgebracht. Es könne nicht sein, dass die Ärzte das Problem erkennen, aber die Rehabilitation falsch umgesetzt werde. Auch heute braucht ihr Sohn Physiotherapie, er musste mit allem quasi neu anfangen. Und die Eltern? Auch sie brauchten Beistand, um diesen höchsten Anforderungen gewachsen zu sein. „Wenn man sich wehrt, erreicht man etwas“, das habe ich gelernt, erklärt der Vater überzeugt.
Daniela di Pilla